Der letzte Werwolf
»die Fairness gebietet es, Ihnen zu sagen, dass Sie selbst den Antivirus haben. Den neuen. Mehr als einmal.«
»Was?«
»Die Drinks im Zetter. Dann wieder in Caernarfon. Poulsom sucht noch immer nach einer Version, die den Virus im Beißer abtötet. Talulla
wurde
gebissen und
hat
den Antivirus gekriegt, woraufhin sie sich verwandelte. Wir wissen aber immer noch nicht, ob sie selbst jemanden zum Werwolf machen kann. Außerdem bringt uns der Besitz eines Medikaments, das im Bissopfer zu einer erfolgreichen Werwolfinfektion führt, im Großen und Ganzen noch nichts. Denken Sie mal drüber nach: Wir müssten jedes Mal dabei sein, wenn jemand gebissen wird, um das Medikament zu verabreichen. Das ist völlig unpraktikabel.«
Mir fiel wieder der Scotch im Zetter ein, der nicht richtig geschmeckt hatte. Ich hatte einen Oban bestellt, hatte ich zu Harley gesagt. Ich glaube, ich habe einen Laphroaig gekriegt.
Harley.
Mein Leben, dachte ich, ist eine Liste von Menschen, die ich im Stich gelassen habe.
»Das Problem ist natürlich, Sie haben niemanden gebissen«, fuhr Ellis fort. »Das ist natürlich noch so ein Punkt in unserer Verabredung. Sie werden Überlebende hinterlassen müssen. Wir denken da an zwei Lebende für einen Toten. Wenn die Zahlen wieder zunehmen, werden Sie leben wie Gott in Frankreich.«
Das grelle Licht auf der Veranda schmerzte mir in den Augen, und die Hitze war nur ärgerlich. Trotz ihrer Irrelevanz kitzelten die Einzelheiten mein Hirn wie Maden.
»Warum haben Sie sie nicht kassiert?«
»Wie bitte?«
»Talulla, in der Wüste. Warum haben Sie sie damals nicht schon eingefangen?«
Ellis’ Handy klingelte. Er warf einen Blick auf die Nummer und ging nicht dran. »Hätten wir ja«, antwortete er, »aber dann tauchte eine andere Einheit auf. Reguläre WOKOP mit einem der gottverdammten Direktoren an Bord. Die hatten offenkundig keine Ahnung, was los war, hatten keine Hinweise darauf, dass eine Zivilistin beteiligt war, wollten nur, dass wir auf der Stelle Alfonse’ Leiche wegschafften. Poulsom hatte Talulla noch verwanzt, aber sonst konnte er nichts mehr unternehmen. Der Direktor übertrug uns die Aufgabe, Alfonse ins Hauptquartier nach Phoenix zu fliegen. Poulsom musste sie zurücklassen und verduften.«
»Was meinen Sie mit ›verwanzt‹?«
»Eine Wanze im Körper«, antwortete Ellis. »Ein Sender. Etwa halb so groß wie der Nagel ihres kleinen Fingers. Eingepflanzt. Er sitzt in ihrer Brust. Poulsom wollte wissen, welche Wirkung der Antivirus auf sie hat. Er hatte wohl sogar eine Vorahnung. Der Typ ist in so was wirklich unglaublich. Jedenfalls hatten wir sie verloren. Wir dachten, sie sei gestorben, wie all die anderen auch, weil wir ewig nichts von ihr hörten. Und dann, vor zwei Monaten,
piep, piep, piep
. Ich wollte sie sofort abgreifen, aber ich wurde überstimmt. Es ging das Gerücht um, wir hätten einen Maulwurf unter uns. Reinster Verfolgungswahn. Einer von Poulsoms Jungs war verschwunden. Die ganze Bewegung brach beinahe in sich zusammen. Aber wir haben das ausgesessen.«
Ab und zu spüre ich noch einen kleinen Schmerz in der Brust. So als ob da ein Splitter stecken würde. Himmel, der Tequila geht mir ganz schön in die Beine.
Die Vorstellung, dass die WOKOP die ganze Zeit gewusst hatte, wo wir waren, all die Meilen quer durch die Staaten, all meine sinnlosen Vorsichtsmaßnahmen, lösten ein Gefühl völliger Selbstaufgabe bei mir aus.
»Warum haben Sie mir nichts von alledem erzählt, als Sie im Zetter bei mir waren? Oder in Cornwall?«
Ellis nickte, schürzte die Lippen und senkte den Blick wie zum Eingeständnis von Schwäche. »Ich hatte Angst und war nicht vorbereitet«, sagte er. »Grainer hatte mich an dem Morgen im Zetter treffen sollen. Wir wussten, dass Sie sich langsam fragten, ob Harleys Deckung noch funktionierte. Die Oberen dachten, die Geschichte mit dem französischen Idioten bräuchte noch etwas Unterfutter. Und dann habe ich in letzter Minute einen Anruf aus dem Büro erhalten, dass Grainer mit irgendwas beschäftigt sei und ich allein weitermachen solle. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, ob die mich auf die Probe stellen wollten. Vielleicht hatten sie das Zimmer verwanzt, vielleicht hatten die Ihre Escortdame, wie hieß sie noch, Madeline, angeheuert. Jedenfalls, mir gefiel das alles nicht, und ich hatte nicht vor, meinen Kopf in die Schlinge zu stecken. Da stand zu viel auf dem Spiel.«
»Madeline ist doch nicht bei der WOKOP , oder?«, fragte ich, und
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