Der letzte Werwolf
verlorenzugehen droht.«
»Indem Sie Grainer töten?«
»Jake, Sie haben keine Ahnung, welchen Einfluss der Kerl hat. Das ist ja nicht nur er. Das ist ein ganzer Kern, eine Junta. Sie kontrollieren Finanzen, Neueinstellungen, Forschung, Politik, Medien. Die Hälfte von ihnen sind zynische Roboter, die die Organisation ausplündern, und die andere Hälfte sind Fanatiker, die nicht begreifen, dass sie sich in die Rente vorjubeln.«
»Ich hatte Sie als Fanatiker abgestempelt«, meinte ich.
Ellis schüttelte milde enttäuscht den Kopf. »Ich bin Pragmatiker, Jake. War ich schon immer. Ich dachte, das wüssten Sie.«
»Und wenn Sie Grainer umbringen – tut mir leid, wenn Sie
mich
dazu gebracht haben, Grainer umzubringen – was dann? Ein Staatsstreich? Oder erledigen Sie die Generäle einen nach dem anderen?«
»Wir wollen keine blutige Revolution«, entgegnete er, trank den Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Boden. »Die Organisation ist zu bröckelig, und wir sind zu wenige. Wir rechnen mit drei, vielleicht vier menschlichen Kernzielen in Großbritannien. Ein Dutzend in den USA . Wir wollen es nicht übertreiben. Wir zielen darauf ab, in aller Ruhe unsere Präsenz spüren zu lassen. Sanftes Lenken. Verstehen Sie, wie das ablaufen soll? Die Fanatiker müssen natürlich weg, zugegeben, Grainer ist Fanatiker durch und durch, aber die Zyniker werden sich überzeugen lassen. Entweder treten sie freiwillig ab oder hören auf, die Organisation zu missbrauchen. Keine blutige Revolution, aber auch keine Samthandschuhe.«
»Dann brauchen Sie mich doch nicht«, entgegnete ich. »Töten Sie Grainer einfach selbst. Eigentlich müssen Sie das sogar, damit die Drohung Ihrer Organisation glaubwürdig erscheint.«
»Genau das werde ich tun«, sagte er. »Ich werde die Silbermunition durch normale ersetzen. Sie dienen nur zur Tarnung, Jake. Die perfekte Deckung. Wir müssen den Leuten klarmachen, dass wir es waren, ohne ihnen die Mittel an die Hand zu geben, um es beweisen zu können. Die stecken mit der normalen Welt zusammen. Sie könnten uns der Justiz ausliefern, wenn wir es nicht richtig hinkriegen.«
»Ein bisschen spät, oder?«, fragte ich. »Jetzt, wo es nur noch mich gibt. Welchen Unterschied macht es denn, mich am Leben zu erhalten?«
Ellis sah mich an und lächelte beinahe. »Netter Versuch, Jake. Aber da sind Sie beide. Sie wussten nicht, ob wir etwas über Talulla wussten. Das mussten Sie erst herausfinden. Ja, wir wissen von ihr.«
Eine kleine Hoffnung, aber den Versuch wert.
»Grainer weiß von ihr?«
»Nein. Nur meine Leute.«
Mein innerer Stratege versuchte, das Grauen zu durchwaten. Grainer weiß nichts von ihr. Ist das gut? Können wir etwas damit machen? Keine Ahnung. Augenblick.
»Okay«, sagte ich. »Da sind nun sie und ich. Macht zwei. Na toll. Nicht gerade genug für eine Renaissance der Jagdgesellschaft.«
Ellis schwieg für einen Augenblick, wirkte, als sei er auf eine Frequenz eingestellt, die nur er hören konnte. Dann wachte er mit einem Seufzer wieder auf. »Jake«, meinte er. »Ach, Mann. Sie haben ja keine Ahnung. Ich weiß gar nicht, wo ich überhaupt anfangen soll.«
Meine Kopfhaut spannte sich. Ich wollte überhaupt nicht, dass er anfing. Die Einzelheiten waren sowieso egal. Das Einzige, was zählte, war die Tatsache, dass ein riesiger Verstoß gegen die Grundregeln zu ungeheuer falschen Konsequenzen geführt hatte. Und schon war alles, was man für gegeben erachtete … alles, dessen man sich sicher war … hast du das denn nicht kommen sehen? Du, der allwissende Leser?
»Wir haben den Antivirus geknackt«, sagte Ellis.
Nur mir allergrößter Mühe widerstand ich der Versuchung, »
Was
?« zu fragen, obwohl ich ihn klar und deutlich verstanden hatte.
»Und auch nur durch einen glücklichen Zufall«, fügte er hinzu. »Na, das ist wohl so bei großen Entdeckungen, da plumpst dir ein Stück rohes Fleisch ins Feuer und siehe da! – Kochen! Das haben wir Ihrer Perle zu verdanken.«
Den für den Werwolf
, hatte sie gesagt,
aber mich hatten sie getroffen. Im Oberschenkel. Wohl ein Betäubungsmittel, denn im nächsten Augenblick gingen bei mir die Lichter aus.
Nein, mein Engel, kein Betäubungsmittel. Himmel Herrgott.
»Ist Alphonse Mackar tot oder nicht«, fragte ich.
»Ja, ist er«, antwortete Ellis. »Er starb in der Nacht, als er Talulla in der Wüste über den Haufen rannte, nur dass nicht wir ihn getötet haben. So ein paar örtliche Amateure in einem beschissenen Jeep.
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