Der letzte Werwolf
denn solange er lebt, ist er eine Bedrohung für die Frau, die ich liebe.«
Das Lächeln war nicht nur vorweggenommene Einsicht. Es war das Eingeständnis, es mit einem strategisch gleichwertigen Gegner zu tun zu haben. »Ganz toll, Jake«, erwiderte er. »Das hat seine Logik. Gefällt mir. Und ich glaube Ihnen. Aber wissen Sie, so läuft das nicht. Abgesehen von der Tatsache, dass Sie der Einzige sind, der hier Zugeständnisse aushandeln will, die zu machen wir keinerlei Grund haben, ist das noch nicht mal meine Entscheidung. Wie schon gesagt, ich leite das Unternehmen nicht.«
Stille. Das geistige Äquivalent zu jemandem, der in einem Zimmer eingesperrt ist und wiederholt an den Türen rüttelt, von denen er bereits weiß, dass sie verschlossen sind. Blut und Urin. Wozu? Alle sind sehr besorgt um mich. Besorgte Wächter sind auf lange Sicht gefährlicher als brutale. Das ist bekannt. Auch ihr. Das hörte ich an ihrer Stimme.
Für eine scheinbar lange Zeit standen Ellis und ich da und sagten kein Wort; er sah über die blausilberne Bucht hinaus, ich mit einem Gesicht und Handgelenken und Fingern voller nutzlosen Lebens. Ellis hatte den Anflug eines Mannes, der sentimentale Gedanken hegt. Vielleicht ausgelöst durch die Erinnerung daran, in einem K-Mart ausgesetzt worden zu sein. Dann drehte er sich zu mir um und streckte die Hand aus. Die Sonne strahlte in seinem weißblonden Haar. »Also«, sagte er, »abgemacht?«
49 .
Ellis ließ sich nicht ausreden, mir eine dreiköpfige Leibwache anzuhängen, doch zumindest fand ich in der Frage der Londoner Unterkunft sein Entgegenkommen: Nach einem leisen Telefonat mit dem unbekannten Boss kam man überein, dass ich in Harleys Haus in Earl’s Court wohnen konnte – und so verbrachte ich nach den ersten paar Stunden sinnlosen, ungläubigen Staunens dort dreizehn der verbliebenen siebzehn Tage, bekam von den Agenten Essen gebracht (ein vierter war hinzugekommen, nachdem die Oberlichter im Dach entdeckt worden waren); ich hatte mich durch Harleys Whisky vorgearbeitet, mein Tagebuch auf den neuesten Stand gebracht und auf den eingeschränkten Telefonkontakt mit Talulla hingelebt.
»Die Hälfte des Problems ist die Langeweile«, meinte sie gestern. »Die andere Hälfte kennst du ja selbst.« Nach drei Viertel des Mondmonats hatte sie, genau wie ich, das Essen eingestellt. Ich hatte Ellis gesagt, Talulla bräuchte Zigaretten, Alkohol, Wasser, und er hatte mir in gutem Glauben zugesagt, sich darum zu kümmern. Eine höhere Instanz hatte interveniert. Poulsom, wie ich annahm, dessen Name allein schon genügte, ihn immer weniger zu mögen. Wasser ja, aber kein Alkohol, kein Nikotin. Stattdessen bot man ihr Schlaftabletten und Muskelrelaxantien an, die sie nach zwei Nächten Hunger annahm. Abgesehen vom Verlust ihrer Freiheit war dies die erste Härte, der sie selbst zufolge in Gefangenschaft ausgesetzt war (es sei denn, man zählt Ultraschalluntersuchungen der Nieren hinzu, die dreimal durchgeführt wurden. Poulsom vermutete Nierensteine). Ihr war die Situation erklärt worden (von Ellis, der sie, wie Talulla sagte, mit lächerlich mittelalterlicher Höflichkeit behandelte), sie verstand, dass (angeblich) keinerlei Absicht bestand, ihr Schaden zuzufügen, und dass sie freikommen würde, sobald ich meinen Teil der Abmachung eingehalten hätte. Abgesehen von der alles überschattenden Frage, ob einer von uns diese Geschichte überleben würde, war noch das Rätsel, was sie mit ihr beim kommenden Vollmond anstellen würden.
»Poulsom meint, sie hätten an alles gedacht«, erklärte mir Talulla. »Was immer das heißen soll.« Vorgespielte Unsicherheit. Wir wussten, was das hieß. Entweder würden sie sie töten oder fesseln oder mit einem lebenden Opfer in einen Käfig sperren – und höchstwahrscheinlich das Spektakel für das Archiv der abtrünnigen WOKOP aufzeichnen.
»Jedenfalls sorgen sie für mich«, fuhr sie fort. »Ich habe ein sündteures Bade- und Duschgel von Harrods und funkelnagelneue riesige weiße Handtücher. Und über hundert Fernsehsender. Ich bin jetzt ein Fan von den
EastEnders
und
Coronation Street
und –«
Die Leitung war tot. Plötzliche Amputation, damit wir nicht vergaßen, wer hier bestimmte, dank wessen Gnaden wir noch lebten, damit wir nicht vergaßen, dass ein Job zu erledigen war.
Also eins nach dem anderen. Ellis hat nicht die Absicht, Talulla freizulassen. Und wenn, dann hat Poulsom was dagegen. Wenn man davon ausgeht, dass es tatsächlich
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