Der letzte Werwolf
ein Interesse daran gibt, eine neue lykanthropische Generation auf den Weg zu bringen (und das nehme ich tatsächlich an), steckt die Wissenschaft noch in den Kinderschuhen. Talulla hat den Biss überlebt – offenbar dank des Antivirus – und sich verwandelt. So weit, so gut. Bleibt noch die große Frage, wie Ellis selbst zugibt, ob sie auch selbst Menschen zu Werwölfen werden lassen kann. Und diese Frage wird im Labor beantwortet werden. Poulsom et al. werden sie nicht einfach laufen lassen, wenn sie sie in kontrollierter Umgebung mit Opfern füttern können.
Das heißt – bitte lachen Sie nicht –, ich muss sie befreien.
Und das wiederum heißt, dass ich sie entweder mit Gewalt herausboxen oder sie ganz gerissen herausschmuggeln muss. Wie man es auch sieht, ich muss erst herausfinden, wo zum Henker sie sie verstecken.
Auftritt: Geld. Jetzt geht es um Geld. Dank des jüngsten Booms im Sektor militärischer Subunternehmungen kann man sich mit genügend Ressourcen seine eigene kleine Armee kaufen (wie allgemein bekannt ist, hat die Bush-Regierung genau dies getan – Blackwater – und sie oberhalb des Gesetzes im Irak implantiert). Meine Ressourcen sind ausreichend – trotzdem muss ich erst wissen,
wo sie sie festhalten.
Es gibt eine unfehlbare Methode, das herauszufinden.
In der Zwischenzeit ist mein Leben hier ein Wartezimmer beim Zahnarzt. Schon bald entwickelte sich ein Rhythmus: Die Wachmannschaft vom Tag wechselt sich mit der Nachtschicht ab, Abende in der Bibliothek, unruhiger Schlaf, rotäugige Vormittage, Schichtwechsel, am Tag wandere ich umher oder liege auf der Couch. Harley hatte nie einen Fernseher, ich kann also meiner Liebsten nicht im Seifenopernland Gesellschaft leisten, aber dafür bin ich von Büchern umgeben. Heute Nachmittag blätterte ich durch eine deutsch-holländische Ausgabe von Ovids Metamorphosen aus dem Jahre 1607 , Illustrationen von Crispijn de Passe. Marktwert, so der Index von 2006 , 8000 Pfund. Ich habe keine Ahnung, was Harley mit der Sammlung vorhatte, ob er ein Testament gemacht hat oder was mit dem Haus passieren wird. Nicht dass die Welt bisher von seinem Verschwinden ahnt. Grainer & Co. haben den Mord vertuscht (weiß der Himmel, was aus dem abgetrennten Kopf im Kofferraum des Vectra geworden ist), aber es kann ja nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Versorgungsunternehmen oder die Steuerbehörde einer Rechnung hinterherjagt. Harls hatte keine lebenden Verwandten. Es gibt einen Rechtsanwalt in Holborn, aber da ich nicht die Absicht habe, in Mordermittlungen verwickelt zu werden, gibt es keinen Grund, ihn zu kontaktieren. Also trage ich die Kleidung meines verstorbenen Freundes, trinke seine Vorräte aus und verbringe die enge Zeit mit seinen Büchern. In letzter Zeit habe ich mich dabei ertappt, wie ich mich gedankenverloren auf seinen Stock mit dem Elfenbeingriff stütze.
Ich komme kaum mit meinen Wächtern in Kontakt, sie sind instruiert worden, stumm zu bleiben, außerdem bin ich eh nicht zum Schwatzen aufgelegt. Ein paar Worte, die beim Eintreffen von Zigaretten oder Brennholz gewechselt werden, doch ansonsten bleibe ich stumm, und sie unterhalten sich leise über ihre Kopfmikros. Auf jeder Etage steht ein Mann. Auf dem Dach wechseln sie sich ab, da keiner dort sein will. Ich habe angeboten, selbst dort draußen Wache zu schieben (der Hunger nach Frischluft ist eine weiche, enge Hölle), aber keine Chance.
Tut mir leid, Chef, geht nicht. Das kam von Russell, derjenige, der Laura Mangiardi in Cornwall den Kopf abgehackt hat. Er ist gewinnend lebhaft und in der Zwischenzeit derart gelangweilt, dass er mit mir reden
würde
, wenn ich nicht andauernd deutlich darauf hinweisen würde, dass ich allein sein möchte. Also raucht er, löst Sudoku und denkt sich schlechte Witze aus, um seine Kollegen zu malträtieren – Wie nennt man einen kleinen Vampirroboter? Nosferatu-D 2 –, baut sein persönliches Waffenarsenal zwei-, dreimal am Tag auseinander, putzt es und baut es wieder zusammen. Die Feuerkraft des Teams setzt sich aus konventioneller Automatikbewaffnung und Anti-Vampirausrüstung zusammen: Nachtsichtgläser, Pflöcke für die lange und kurze Distanz, ein UV -Stick, eine Miniaturausgabe eines »Hagelschlags« für den Mann auf dem Dach. Russell hat noch einen Flammenwerfer dabei, obwohl ich mich erinnere, Harley sagen zu hören, dass die meisten Jäger selbst die kompakten Versionen dieser ›Flattermanngriller‹ für veraltet halten. Dank Sigourney
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