Der letzte Werwolf

Sie das Büro der WOKOP in Marylebone auf dem hier an: ein absolut sauberes Handy mit Aufspürblockierung. Bringen Sie es nicht mit dem anderen durcheinander. Grainer wird im Büro sein. Sie werden ihn natürlich nicht an den Hörer kriegen, sondern sich den üblichen Bockmist von der Rezeption anhören müssen. Sie sagen ihnen, sie sollen Grainer ausrichten, er möge Sie in einer Stunde auf dem sauberen Handy anrufen, dann legen Sie auf. Grainer wird zurückrufen.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Himmel, Jacob, hören Sie einfach nur zu, okay? Er wird anrufen, weil er an nichts anderes mehr denkt als an Sie. Glauben Sie vielleicht, ich saug mir das alles aus den Fingern?«
    »Schon gut, schon gut.«
    »Ich stehe unter Druck, Mann.«
    »Okay. Tut mir leid.«
    Ellis schloss für einen Augenblick die Augen und drückte sich den Handballen gegen das Gerstenkorn. »Wenn er Sie anruft, legen Sie das Treffen fest. Vollmond Freitag, Mondaufgang 18  Uhr 07 . Dass wissen Sie ja bereits. Lassen Sie sich keinen Ortswechsel aufschwatzen. Wales. In Ihrem Wald, okay? Wir haben uns darauf eingerichtet. Hauen Sie ab in die Pyrenäen oder sonstwo, sind wir dran. Kapiert?«
    »Kapiert. Wann kann ich Talulla sehen?«
    Keine Antwort. Das Blut verabschiedete sich aus meiner Kopfhaut. Meine Knie und Hände waren voller Adrenalin und gierten nur darauf, etwas tun zu dürfen. Es gab nichts zu tun. »Ich muss sie sehen«, setzte ich nach. Dann fügte ich vorsichtig verzweifelt hinzu: »Bitte. Um Himmels willen.«
    Ellis seufzte schwer. Das Strahlen, dieser Anschein größerer Sensibilität war in Wirklichkeit Erschöpfung, wie ich erkannte. Mir war nicht klar gewesen, wie nah er dem Abgrund war. »Ach Jake«, sagte er und schüttelte den Kopf wie ein gnädiger Rabbi, den ich mit meinem schwachen Willen enttäuscht hatte. »Ungeduld. Also wirklich. Ich weiß, es ist schwer für Sie …« Seine Augen umwölkten sich. Einen Augenblick war er abwesend, ging in seinem undurchdringlichen Innern etwas durch. »Ich weiß wirklich, wie schwer es für Sie ist. Es tut mir leid. Ich bilde mir das nicht nur ein. Das war mein Vorsatz für das neue Jahr, wissen Sie? Mich auch mal in die anderen versetzen. Das und jeden Tag ein Gedicht lesen.«
    Ich spürte noch immer den Schürhaken von vorhin in meiner Hand. Perfekt, um jemandem den Schädel einzuschlagen. Ich rührte mich nicht.
    »Also gut, hören Sie zu«, fuhr Ellis fort. »Das Hotel, in dem Sie in Caernarfon gewohnt haben, das Castle Hotel. Sie haben dort für Donnerstagnacht ein Zimmer. Dasselbe wie neulich, das mit dem Fenster zur Straße. Sie fahren dort Donnerstag hin und warten auf meinen Anruf. Sie bleiben auf dem Zimmer. Sie gehen nirgendwo hin, treffen sich mit niemandem. Keine Nutten, nichts.«
    Wieder musste ich an Maddy denken – die arme Maddy, wie ich sie in meinen neuerdings sentimentalen Erinnerungen nenne, ihr entsetzter Verstand, als Grainer gesagt hatte: »Er ist ein Werwolf, Schätzchen.« Bei diesem Erinnerungsbild nagte plötzlich etwas an mir – ich hatte nur keine Zeit dafür.
    »Bringen Sie sie aufs Zimmer?«, fragte ich.
    »Nein, Jake, wir bringen sie nicht aufs Zimmer. Sie checken einfach nur ein und warten.«
    »Keinen Scheiß, Ellis. Ernsthaft. Ich –«, unterbrach ich mich. Ellis saß stocksteif da; seine ekligen langfingrigen weißen Hände ruhten auf den Knien. »Tut mir leid«, sagte ich. »Tut mir leid. Meine Gefühle. Verdammt.«
    Ellis ließ seinen Kopf ein paarmal kreisen, um die Nackenmuskeln zu entspannen. Ich biss mir auf die Zunge. Zu meinem Glück tauchte Russell in der Tür auf. Ellis blickte auf.
    »Der Landrover ist erneut vorbeigekommen, Sir«, sagte Russell. »Sie hatten angeordnet, dass wir Sie darüber in Kenntnis setzen sollten.«
    »In Ordnung«, meinte Ellis. »Kontrollieren Sie das Kennzeichen. Ist wahrscheinlich nichts.«
    »Schon dabei, Boss.«
    »Und sagen Sie Chris, ich komme raus, okay?«
    »Roger.«
    »Was für ein Landrover?«, fragte ich, nachdem Russell gegangen war.
    »Ach, nichts«, antwortete Ellis. »Der Wagen ist zweimal gesichtet worden. Jetzt das dritte Mal. Wahrscheinlich nur ein Anwohner. Den Jungs ist langweilig.« Er trank seinen Scotch aus, lehnte sich zurück, wendete sein Gesicht für einen Augenblick zum Feuer und schaute den Flammen im Kamin zu. »Wir werden langsam vorbeifahren, Jake. Du wirst sie zu Gesicht bekommen. Du wirst mit ihr am Telefon sprechen. Das ist alles. Übertreib’s nicht. Ich tue dir einen Gefallen.