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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Waldlichtung ein paar Meilen vom Fuß des Snowdon entfernt auf. Fichten, Weißbirken, ein Bach, der im Mondschein wie Lametta glitzerte. Vollmond, natürlich.«
    »Das ist wirklich wichtig, oder? Vollmond?«
    In unserer Hochzeitsnacht hatten Arabella und ich unser Bettzeug zu der Stelle gebracht, wo der Fensterausschnitt Mondlicht lag. Ich möchte den Mond auf deiner Haut sehen.
    »Ja, der Vollmond ist wirklich wichtig«, antwortete ich. »Törichterweise haben wir alle geglaubt, das würde aufhören, nachdem die Astronauten 1969 auf dem Mond herumspaziert sind. Es gab eine fühlbare artenweite Depression, als klarwurde, dass Armstrongs kleiner Schritt nichts für die Werwölfe tat, ganz gleich, was für ein Riesensprung das auch für die Menschheit gewesen sein mochte.«
    »Nicht abschweifen«, mahnte Madeline. »Das machst du immer, du schweifst ab, und ich kenn mich nicht mehr aus. Das macht mich wahnsinnig.«
    »Natürlich«, sagte ich. »Tut mir leid. Du bist ein Kind deiner Zeit. Du willst die Story. Nur die Story. Also gut. Um auf den Punkt zu kommen: Charles und ich machten Feuer und stellten unser Zelt auf. Trotz des wolkenlosen Himmels war es warm. Wir machten uns ein Abendessen aus gepökeltem Rindfleisch und Pflaumenmus, Brot, Käse, heißem Kaffee, dann tranken wir den Großteil eines Flachmanns Brandy aus. Ich erinnere mich noch an das Gefühl von Freiheit, an den Mond und die Sterne über uns, an die alten Geister des Waldes und des Wassers, an die Nähe eines guten Freundes – und wie eine Strahlung von daheim, Meilen entfernt, die Liebe und das Verlangen einer schönen, zarten, faszinierenden Frau. Ich sprach vorhin von einer Anspruchshaltung, richtig? Das stimmte im Allgemeinen, aber es gab Augenblicke, da wurde ich demütig bei dem Gefühl meines eigenen gütigen Schicksals.«
    »Wie machst du das eigentlich?«
    »Was denn?«
    »So zu reden wie die im Fernsehen.«
    Es hatte aufgehört zu schneien. Das Zimmer war ein Nest erschreckender moderner Behaglichkeit. Bei dem neuen, reglosen, sciencefictionhaften Licht hätten wir auch auf einem anderen Planeten sein können. Die Tagebücher stecken in einem Schließfach auf Manhattan. Alle, bis auf das aktuelle. Dieses hier. Das letzte. Die unerzählbare Geschichte. Harley hat den Code, den Zweitschlüssel, die Erlaubnis. »Übung«, antwortete ich. »Zu viel freie Zeit. Soll ich fortfahren?«
    »Sorry, ja, erzähl weiter. Ihr hattet einen Brandy und fühltet euch frei, irgendwie.«
    »Charles konnte nie viel vertragen, und er war nach der Strecke, die wir an dem Tag zurückgelegt hatten, erschöpft. Kurz nach Mitternacht zog er sich ins Zelt zurück und schnarchte schon nach ein paar Minuten leise.« Ich schob Madelines Haare beiseite und bearbeitete ihre Trapezmuskel von Scapula bis zum Occipitalknochen. Das Anatomielatein ist ein vorurteilsloser Freund, wenn man Menschen zerfetzen und fressen muss. »Charles schlief, und ich lag am Feuer und dachte an Arabella. Ich hielt mich für den glücklichsten Menschen der Welt. Wir waren beide keine Jungfrauen mehr, als wir uns kennenlernten, doch die wenigen Erfahrungen, die ich bis dahin gemacht hatte, waren keinerlei Vorbereitung auf das, was mit ihr folgte. Sie verfügte über eine tiefe, stete, amoralische Leidenschaft. Was die Welt wohl eine Perversion genannt hätte, war für uns eine Rückkehr zu geradezu engelshafter Unschuld. Nichts am Körper weckte Schamgefühle. Alles am Körper war heilig.«
    »Klingt für mich wie
Lust
auf den ersten Blick«, meinte Madeline mit einem leichten Anflug von Gereiztheit. Es gefällt ihr nicht, nicht die wichtigste Frau im Raum zu sein, selbst wenn die Konkurrentin seit anderthalb Jahrhunderten tot ist.
    »Ganz gewiss gab es Lust«, pflichtete ich ihr bei. »Die heiligste Form von Lust. Versteh mich nicht falsch, wir waren so sehr ineinander verliebt, wie das nur möglich ist. Es ist wichtig, dass du das begreifst. Das ist wichtig für das, was dann geschah.«
    »Hmhm.«
    »Dir ist also klar, dass wir verliebt waren?«
    »Hab schon kapiert. O Gott, ja, mach mit den Händen weiter. Andauernd vergisst man die Hände.«
    »Wenn es sich um Poe oder Stevenson oder Verne oder Wells gehandelt hätte, dann hätte mich wohl ein komisches Geräusch oder der Anblick einer undeutlichen Gestalt vom Lager fortgelockt.«
    »Was?«
    »Egal. Ist nicht wichtig. Ich stand vom Feuer auf und ging zum Bach hinüber. Der Gedanke an Arabella hatte mich überaus erregt. Ich musste mir

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