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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Selbstekel auf die Beine (ganz absichtslos war ich zum Bett zurückgekehrt und hatte mich hingesetzt). Ich überquerte den weichen Teppich, hob meinen Mantel dort auf, wo ich ihn an der Tür hatte fallen lassen, und ging leise hinaus.

27 .
    Nichts wie raus hier, das war alles, was ich noch hatte. Nicht viel, aber genug: Jacqueline Delon beim Wort nehmen und herausfinden, wie weit ich kam, bevor mich jemand aufhielt. Bevor jemand
versuchte
, mich aufzuhalten. Genau das wollte ich, etwas Konkretes, auf das ich mich körperlich stürzen konnte, zum einen aus Erleichterung, nicht denken zu müssen, zum anderen, um das Gewicht der Scham abzuwerfen, die auf mir lastete. Sie macht dich zum Narren, und du leckst ihr die Hand. Sie hält dir das Babyspielzeug hin, Quinns Buch, und du sabberst und gurrst. Und außerdem war es nicht schmerzlos und nicht schnell.
    Im Haus war alles still. Wenn es Angestellte gab, so hatten sie sich versteckt, doch war da noch unverkennbar das merkwürdige Proto-Bewusstsein der Kameraüberwachung, das mir von einem leeren Raum in den nächsten folgte. Hinter der taffen Fassade war ich noch immer damit beschäftigt, mir auszureden, nach Quinns Buch zu suchen. Es war nicht sichtbar, und wenn, dann war es nicht erreichbar. Außerdem: wozu? Mal angenommen, ich fand es, und darin stand, Werwölfe seien vor fünftausend Jahren in einem Silberschiff vom Himmel gekommen, oder sie waren von einem sumerischen Zauberer aus einem brennenden Loch im Boden herbeigezaubert worden, oder sie waren gezüchtet worden, indem man Frauen Lupinensamen einpflanzte – na und? Was immer auch der Ursprung meiner Spezies gewesen sein mochte, ergab nicht mehr kosmischen Sinn als der Ursprung irgendeiner anderen Art. Die Tage, an dem irgendetwas Sinn ergab, ob nun kosmisch oder sonstwie, waren vorüber. Für das Ungeheuer wie für den Regenwurm wie für den Menschen hat die Welt wirklich weder Freud, noch Lieb, noch Lichterpracht, noch Sicherheit, noch Ruh, noch Schmerzerlaß; und wir stehn hier wie auf dem dunklen Paß … Ich fand das Wohnzimmer, öffnete eine der Glastüren und trat hinaus.
    Das Haus stand auf der flachen Anhöhe einer Reihe von angelegten Terrassen. Vorn führten weiße Steinstufen (eine Treppe östlich, eine westlich) durch den kleinen roterdigen Kaktusgarten hinunter zu einer Reihe von Olivenbäumen und Zypressen, durchsetzt mit Lavendel und Thymian, weitere Stufen gingen hinunter zu einer gepflasterten Zwischenetage oberhalb der Garagen, hinter denen dann die weiß gekieste Ausfahrt durch das dunkle Immergrün begann.
    Ich stand am oberen Ende der ersten Treppe und sah mich um. Niemand zu sehen. Die Stille im Haus setzte sich hier draußen fort, observierungssatt, gefahrenschwanger. Ich stellte mir Schlägertypen an einer Konsole voller Monitore vor. Er hat gerade das Wohnzimmer verlassen, Madame. Sollen wir eingreifen? Noch nicht. Alle auf ihren Plätzen? Gut. Warten Sie auf meinen Befehl.
    Nach weniger als einer halben Minute stand ich unbehelligt auf dem Fahrweg. Die Sonne war hinter dem Dach des Hauses untergegangen, und auf meiner Haut trocknete kühlend der leichte Schweißfilm des Selbstekels, der sich auf mich gelegt hatte. Die Koniferen vor mir bildeten einen dunkelgrünen, harzigen Tunnel, ein Duft wie eine albtraumhafte Überdosis Weihnachten. Ich ging los.
    Neben der Fahrbahn lag eine Decke aus toten Nadeln, über mir umarmten sich die Fichten wie Trauergäste. Die Erinnerung an das Versteck im Schrank meiner Mutter als Kind, der Nervenkitzel, heimlich eingeschlossen zu sein. Vermutlich eine Freud’sche Nachstellung der Rückkehr in den Mutterleib. Die Erkenntnis, dass ich seit Jahren nicht mehr an meine Mutter gedacht hatte. In einem Universum ohne Leben nach dem Tod werden die Toten bald vergessen. Es sei denn, du hast sie getötet und gefressen. Dann bist
du
das Leben nach dem Tod, das überfüllte spirituelle Gefängnis, das vollbesetzte Geisterhotel.
    Ich ging langsam und mit gedankenverloren gesenktem Kopf – doch ich war darauf vorbereitet, als der Angriff kam. Ganz gegen meinen Willen hatten die jüngsten Ereignisse mein Verteidigungssystem wieder in Gang gesetzt und Abwehrmechanismen entstaubt. Jake, in Gedanken, würdig dahinschreitend, ja, aber mit einer irrsinnig wachsamen Aura, sprungbereit, auf Bewegungen geeicht, gewillt, auf das leiseste Anzeichen hin loszuschlagen, und als sich die Gestalt aus dem Dunkel der Bäume auf mich stürzte, war ich geradezu lächerlich

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