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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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bereit.
    Die Reaktion kam ganz schnell. Im einen Augenblick war der Angreifer kaum Armeslänge von mir entfernt, ein mit Silberspitze versehener Speer auf Kollisionskurs mit meiner Brust, im nächsten Augenblick lag er auf dem Bauch und stöhnte in den Schotter. Das Silber erzwang einen Anflug von Übelkeit, so als hätte ich zu Boden geschaut und meine Füße nur wenige Zentimeter vor der Klippenkante gesehen. Eine schwindelnde Sekunde lang dauerte es, bis ich die Waffe schnappte, doch ich brannte, schnappte ihm das Ding aus der Hand, wirbelte um die eigene Achse wie Little John und schlug tief zu, um die Beine unter ihm wegzuschlagen. Da er mit dem Gesicht nach unten gefallen war und dabei die Beine einladend weit geöffnet hatte, trat ich ihm noch fest ins Gemächt – ein fürchterlich matschendes Geräusch von Hoden auf Knochen –, dann setzte ich ihm aus Verärgerung darüber, was für eine unzulängliche Erleichterung das war, den Fuß auf den Nacken und bohrte die Speerspitze ein paar Zentimeter tief ins Gesäß. Der Angreifer wehrte sich tonlos, weil er keine Luft bekam. Ich zog den Speer wieder heraus und bohrte ihn neben die erste Stelle ein zweites Mal hinein. Weitere stumme Verrenkungen. Ich zog den Speer heraus, schob meinen Fuß unter seine Hüfte und wuchtete den Kerl auf den Rücken. Dann erkannte ich den breitlippigen jungen Mann, der früher mal mit einer Magnum bewaffnet gewesen war: Paul Cloquet. Er trug noch denselben Trenchcoat, dieselbe lächerliche Mascara. Um seine rechte Hand war ein schmutziger Verband gewickelt.
    »Um Himmels willen«, stöhnte ich. »Sie?«
    Das Sprechen war ihm nach dem Tritt und den Stichen für eine Weile vergangen. Er zog die Knie an, rollte sich auf die Seite und starrte meine Schuhspitzen an. Ich suchte ihn nach weiteren Waffen ab, fand aber keine. Stattdessen stieß ich auf ein goldenes Kokaindöschen mit Löffel, eine zerknüllte Schachtel Marlboro, ein kupfernes Zippo, ein paar Streichhölzer, iPhone, Fernglas, Flachmann, eine mit Kreditkarten pralle Brieftasche und fünfhundert Euro in bar. Dazu rührenderweise eine Packung Cashews. Da der Bursche nirgendwo hinging, nahm ich mir einen Augenblick Zeit, um zu kontrollieren, ob nicht irgendwo Kumpane lauerten. Das üppige Bewusstsein des Waldes sagte nein, nur dieser Blödmann. Der Wald und ich standen in stummer Partnerschaft dem rein Menschlichen gegenüber. Für das Tier in dir lebt die Natur, sie gesteht ein, dass auch in dir ein göttlicher Bruchteil des pantheistischen Ganzen ist, dass du, zumindest teilweise, Teil davon bist. Selbst ein Haushund, der durch den Wald tollt, weiß das, spürt es, ist glücklich.
    »Und?«, fragte ich, als ich zurückkam. »Lassen Sie mal hören.«
    Cloquet schloss die kajalumrandeten Augen, verbrachte, wie ich fand, ungebührlich lange Zeit damit, die Mick Jagger-Lippen über makellosen großen Zähnen zu öffnen und wieder zu schließen. Dann schüttelte er den Kopf: Kann noch nicht. Meine Eier. Muss warten. Ich hockte mich hin und rieb ihm langsam den Rücken. Ich hätte mir gewünscht, dass das jemand bei mir gemacht hätte, als Ellis mir an jenem Morgen im Zetter die Hoden zerquetscht hatte. Und wie das so ist, wenn zwei Männer die Intimität der Gewalt teilen, nahm Cloquet diese Geste hin, als sei sie das Natürlichste auf der Welt. Er schlug die Augen auf.
    »Warum versuchen Sie mich umzubringen?«, fragte ich ihn auf Französisch. »Und warum sind Sie nur so grottenschlecht darin?«
    Immer noch keine Chance. Cloquet schluckte nur. Sein Atem stank. Wir waren zu auffällig, deshalb trug ich ihn halb, halb zerrte ich ihn von der Fahrbahn zwischen die Bäume. Ich hatte meine Zigaretten in Jacquelines Schlafgemach vergessen, also nahm ich mir eine von seinen Marlboros und zündete sie an. Erstaunlicherweise fand Cloquet mit zitternden Händen sein Kokserbesteck und nahm ein paar kräftige Züge. Erst verwirrte ihn das Koks, dann brachte es ihn auf die Beine.
    »Besser?«, fragte ich.
    Cloquet nickte. »Bringen Sie mich nicht um«, bat er auf Englisch. Dann fügte er leicht zärtlich hinzu: »Sie verdammtes Arschloch.«
    Ich hatte schon eine ganze Weile nichts mehr gehört, was mich zum Lachen gebracht hätte. Dies schon. Dazu noch die übliche französische Beleidigung, das Französisch des anderen zu ignorieren und auf Englisch zu antworten. »Ein guter Rat«, sagte ich. »Falls Sie jemanden dazu bringen wollen, Sie nicht umzubringen, sollten Sie ihn nicht verdammtes

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