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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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etwas anderes (was immer geschieht, so die verstorbene Susan Sontag, es geschieht stets noch etwas anderes. Es ist die Aufgabe der Literatur, dies zu berücksichtigen. Kein Wunder, dass niemand mehr liest). Das Andere war mein distanziertes Eingeständnis, dass die Waage nun mit lächerlicher Geschwindigkeit zur anderen Seite ausgeschlagen war und auf Leben stand. Distanziert oder doch eher unsicher? Sich dem Tod zu ergeben, machte einem zumindest den Rest des Lebens einfacher. Und nun? Komplexität? Langwierige Prozeduren? Sich wieder sorgen? Und da war noch etwas anderes (die Anzahl dieser ›Anderen‹ ist unendlich, ist die Hölle, der sich die Literatur jeden Tag ausgesetzt sieht. Ein Wunder, dass noch jemand schreibt). Unter diesem ersten lag nur ein mürrisches zweites Eingeständnis: Ein Hauch von ihr hatte erreicht, was Harleys Folterung und Tod nicht geschafft hatten. Das war mein Maß, der gigantische Gedenkstein der Enttäuschung, falls ich ihn mir anschauen wollte. Doch wieder nahm ich diesen sensationellen Geruch von ihr wahr – Herr im Himmel –, ein erneutes Pochen des Blutes im Penis. Sollen sich doch die verschiedenen Fraktionen des Gewissens streiten: Ich hatte was zu erledigen.
    Und das Leben ohne Liebe?
    Meine Toten marschierten in schweigender Phalanx, allen voran Arabella als Anführerin.
    Der Heathrow Express fuhr ab. Bis auf eine Handvoll Passagiere hatten alle die Ausgänge genommen und eilten zu den Rolltreppen. Ein vorsichtiger Blick verriet mir, dass sie noch immer da war, scheinbar wischte sie sich einen Krümel vom Rock, in Wahrheit aber suchte sie noch immer nach der Herkunft des Geruchs, der sie so umgehauen hatte. Meinen Geruch. Mich. Sie hatte sich wieder gefasst, auch wenn ihr Gesicht noch immer ein wenig vor Schweiß glänzte. Sie war blind gewesen, doch nun war die Neugier am Werk, kluge weibliche Lichter in den lebendigen dunklen Augen. Sie wischte sich mit dem kleinen Finger eine Haarsträhne fort, die ihr auf der feuchten Stirn klebte. Dann hob sie ganz leicht das Kinn. Sie atmete schwer, ihre Brüste zeichneten sich einladend durch die Bluse ab.
Ich weiß, du bist hier irgendwo.
    Ich wartete, bis sie hinausging, wartete, so lange ich konnte, und folgte ihr.

35 .
    Die Herausforderung, sie durch die belüfteten Tunnel und über die Rollwege hin zu den hellen Lichtern und den hallenden Ankündigungen von Abflügen zu verfolgen, bestand darin, Abstand zu halten. Nur einmal kam ich zu nah, sie blieb stehen, drehte sich um und tat ein paar Schritte in meine Richtung. Ich musste mich in einer Tür verstecken, um diesen Kontakt abreißen zu lassen – aber ganz beiläufig, damit der WOKOP -Verfolger keinen Verdacht schöpfte.
    Es war tatsächlich ein Vampir anwesend, wie sich herausstellte, ein großer Farbiger mit graumelierten Haaren und einem goldenen Ohrring, der vom Balkon in der Halle hinunterschaute. Weitere Kopfschmerzen bereitete mir die Aufgabe, nah genug an ihr dranzubleiben, um ihren Geruch zu verdecken, ohne dass sie den Kopf drehte oder ich ihr auf die Hacken trat. Sie hatte den beigefarbenen Regenmantel ausgezogen und über einen Arm gelegt; ich konnte eine schlanke Gestalt und eine Haltung sehen, die erlernt wirkte, nicht natürlich. Ich konnte die Idee nicht von mir weisen, dass sie die gute Tochter amerikanischer Immigranten war, die um die Mühen und das Leid wusste, sie zu dem werden zu lassen, was sie war, das echte amerikanische Mädchen ihrer Eltern, die fließend all die Markennamen konnte und ausgestattet war mit Schulbildung, Krankenversicherung, politischer Haltung, gepflegten Zähnen, Einkommen – doch all diese und alle weiteren Vorstellungen wurden durch die Anwesenheit des Vampirs verunreinigt, die wie Hände wirkten, welche von oben auf meinen Schädel drückten.
    Unter einer der Informationstafeln blieb sie stehen. Ich beschäftigte mich damit, so zu tun, als würde ich telefonieren. Logistische Probleme zuhauf: Bald würde sie ihren Schalter finden, sich ihre Bordkarte geben lassen und durch den Sicherheitscheck in die riesige Vorhölle der Abflughalle gehen. Wie konnte ich ihr da folgen? Indem ich mir ein Ticket an ihr Ziel kaufte, offenkundig. Doch woher sollte ich wissen, wohin sie flog, wenn ihr Schalter mehr als einen Flug bearbeitete? Ich war ihr nicht nahe genug gekommen, um den Anhänger an ihrem Koffer lesen zu können. Und was, wenn sie sich selbst eincheckte?
    Es ging nicht anders: Ich musste mich ihr nähern.
    Kaum ging ich auf sie

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