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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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weichen Sicheln. Ein wenig wie in
Drei Engel für Charlie
aus den Siebzigern. In einer Mischung aus Verbitterung und Freude dachte ich: All diese Jahre. All diese
Jahre
.
    »Ich werde den Flughafen verlassen«, erklärte ich. »Du bleibst hier. Wenn die nichts über dich wissen, werden die mir folgen. Du fliegst nach New York. Ich komme nach, wenn ich sie abgeschüttelt habe. Sollte nicht länger als ein, zwei Tage dauern.«
    »Warte. Das ist doch verrückt. Was, wenn sie dir nicht folgen?«
    »Werden Sie. Wenn nicht, komme ich zurück und wir überlegen uns was.«
    »Was, wenn es noch andere Vampire gibt?«
    »Ich rufe dich in einer halben Stunde an. Wenn es noch andere gibt, wird dir noch immer übel sein, und wenn einer von ihnen ins Flugzeug steigt, wird dir richtig schlecht. Aber das ist unwahrscheinlich. Wenn sie jemanden in den Flieger zu dir stecken, dann wird das ein Vertrauter sein, ein Mensch. Die werden nichts unternehmen, solange du dich an öffentlichen Plätzen aufhältst, aber halte die Augen offen.«
    »Was ist mit diesen Leuten von der WOKOP ?«, fragte sie. »Woher weiß ich, ob sie mir folgen?« Das charmante, konzentrierte Stirnrunzeln blieb. Nun wirkte sie wie eine Sekretärin, die eine ungeheure Menge neuer Instruktionen erhält, sich dazu zwingt, ruhig zu bleiben und sich der unmenschlichen Anforderung zu stellen.
    »Das weißt du nicht. Aber daran können wir im Augenblick nichts ändern. So oder so werden sie im Augenblick noch nichts unternehmen. Das sind Trophäenjäger. Sie warten bis zum nächsten Vollmond.« Bei dem Wort »Vollmond« sahen wir uns erneut an. All die wichtigen Dinge, über die wir kein Wort verloren. Ich war bei meiner letzten Münze angelangt. Ich lernte ihre New Yorker Adresse auswendig.
    »Ich kann doch nicht einfach so verschwinden«, meinte sie. »Ich brauche Antworten.«
    »Die wirst du kriegen, aber nicht so. Ich muss erst wissen, dass du in Sicherheit bist.«
    Ein süßer stechender Schmerz durchfuhr mir die Brust, als ich das sagte, aus dem einfachen Grund, weil es wahr war. Plötzlich hatte etwas eine Bedeutung. Im Film findet jemand ein Raumschiff, das seit Tausenden von Jahren verschüttet war, er schaltet ein, und das ganze System erwacht flackernd zum Leben, Lichter, Messgerät, Anzeiger, Motoren. Der schöne, erregende Gedanke, dass diese Möglichkeit die ganze Zeit über da gewesen war und gewartet hatte.
    »Verrate mir noch etwas«, sagte sie. »Gibt es eine Heilung?«
    »Nein.«
    Sie schloss die Augen. Schluckte. Erfasste den Gedanken. Sie hatte eine neue, herrlich deformierte Persönlichkeit entwickelt, um ihr Werwolfdasein unterbringen zu können, doch in der Art, wie sie die Augen schloss und schluckte, fand sich eine Andeutung davon, wie viel von ihrer alten Persönlichkeit noch vorhanden war und bleiben durfte, solange sie so tun konnte, dass dieser Rest nicht existierte. Selbst diese Aussage – nein, gibt es nicht – tötete ihn nicht ab. Wahrscheinlich würde er noch Jahrzehnte überdauern und die Hoffnung in Händen halten wie eine glühende Kohle.
    »Bleib nach Sonnenuntergang nicht allein, und schlaf nicht bei Nacht«, erklärte ich. »Geh in einen Club, eine Bar, irgendwas. Schlaf am Tag. Mit jemandem, wenn es diese Möglichkeit gibt, aber nur mit jemandem, den du gut kennst.« Jetzt sahen wir uns unverhohlen an. Die wölfische Gewissheit zwischen uns war so hässlich und aufregend wie ein riesiger Blutfleck auf weißen Fliesen. Doch da war auch eine andere Gewissheit, eine menschliche, die für uns wie ein Schock war. Anachronistisch heutzutage, fast peinlich. Ich sah Ellis und Grainer und eine ganze Crew von stark bewaffneten Jägern vor meinem geistigen Auge, wie sie uns umringten und sich kaputtlachten.
    »Du kommst besser nach, verdammt«, sagte sie leise. Ihre Haltung war nicht vollkommen, Verzweiflung lauerte und wartete nur auf ein Nicken von ihr. Die dunklen Wimpern und der Schönheitsfleck waren die erotischen Tupfer auf ihrem Gesicht.
    »Das werde ich.«
    »Versprich es mir.«
    »Ich verspreche es.«
    »Das ist doch krank. Es gibt so viel … Ich weiß überhaupt nichts.«
    »Das wirst du noch alles erfahren. Alles, was ich weiß, und das ist nicht viel.«
    »Du rufst mich in einer halben Stunde an?«
    »Vertrau mir.«
    Pause. Blickkontakt.
    »Das weißt du doch.«
    Augenblicke wie kleine Getriebeübersetzungen; ein geöltes Klicken, eine riesige tektonische Verschiebung, und plötzlich sagst du: Vertrau mir, und sie antwortet:

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