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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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geradezu zum Klauen ein.“
    Ein Glatzköpfiger, der sich mit zwei Einkaufstaschen abschleppte, nickte düster. „Früher gab's so was nicht! Heutzutage muss man höllisch aufpassen!“
    „So was gab's immer!“ Seine schmallippige Frau schüttelte den Kopf.
    „Der Junge hat mich an der Jacke gezogen“, schluchzte die Hagere. „Ich hab mich umgedreht – und dann …“ Sie kramte ein Taschentuch aus der Jackentasche.
    „Dieser Bengel war ein Profi“, sagte der Mann mit dem Trachtenjanker. „Neulich erst kam ein Fernsehbericht über solche Kinderbanden. – Organisiertes Verbrechen. Das sind ausgebildete Taschendiebe.“
    „Die Sendung hab ich auch gesehen“, meldete sich eine junge Frau zu Wort, während sie ihrem kleinen Sohn, der an einem Schokoladeneis leckte, geschäftig den Mund abwischte. „Leid können einem die Kinder tun. Die werden von Kriminellen zum Stehlen gezwungen. Moderne Sklaventreiber sind das!“
    „Sie müssen Anzeige erstatten“, wandte sich die Schmallippige an die Bestohlene, die sich mit hängenden Schultern die Nase putzte.
    Der Trachtenjankermann zuckte mit den Schultern. „Aussichtslos! – Und selbst wenn sie die Tunichtgute zu fassen kriegen – die sind nicht strafmündig. Das Geld ist flöten.“
    Phil ging grübelnd weiter. Hatte der Junge vorhin Dorian beklaut? Aber was konnte man Dorian schon klauen? Er hatte ja nur, was er auf dem Leibe trug. Trotzdem, irgendeinen Grund musste er schließlich gehabt haben, dem Burschen nachzujagen. Aber, verdammt noch mal, wo steckte Dorian jetzt? So wie der rannte, konnte er inzwischen am anderen Ende der Stadt sein. Auf dem Markt war er sicher längst nicht mehr.
    Ein brennender Schmerz bohrte sich in sein Bewusstsein. Mann, taten ihm die Füße weh! Er war heute schon kilometerweit gelatscht, und Geld für den Bus hatte er auch nicht, nachdem Valentina das Wechselgeld eingesteckt hatte. Okay, jetzt ging er noch bis zum Schillerplatz, dann musste er sich nichts vorwerfen lassen. – Dorian war schließlich nicht blöd. Zum Treuenstein-Palais fand er allemal zurück, und dann Isoldes alte Villa zu finden, war ja wohl ein Kinderspiel, selbst wenn man aus dem achtzehnten Jahrhundert kam. Wieder durchschoss ihn der Gedanke, wie absurd das alles war. Achtzehntes Jahrhundert! Wem konnte man das erzählen? Allein was sie heute erlebt hatten, war schon Stoff genug für einen Fantasy-Film. Und trotzdem – Dorian hatte inzwischen eine seltsame Realität, so, als wäre er ein Kumpel aus der Schule. Dennoch, maß man die Dinge an dem, was die Naturgesetze erlaubten, durfte es sie gar nicht geben. Definitiv!
    Mit solchen Gedanken beschäftigt, ließ er den Markt hinter sich und erreichte den Schillerplatz. Der Poet, der dem kleinen Platz den Namen lieh, stand bronzeglänzend auf seinem hohen Sockel und wies mit dem Zeigefinger auf ein Buch. Eine Litfasssäule konkurrierte mit dem Dichter an Größe und Wichtigkeit. Ein paar Bänke. Menschen, die aus der angrenzenden Einkaufszone Richtung Markt strömten. Ein Straßenmusikant fiedelte auf einer Geige. Phil blieb einen Moment stehen und beäugte die mit Münzen gefüllte Blechbüchse. Eigentlich war das eine erstklassige Idee. So konnte man beim Üben Geld verdienen. So gut wie dieser Anfänger spielte er auf jeden Fall. Ein kleines Mädchen warf klimperndes Kleingeld in die Dose. Phils Blick folgte ihm, als es zu seiner Mutter zurückrannte – und blieb an einem roten Pullover hängen.
    Verdammt, dieser Junge, der da drüben an der Straßenecke bei dem Mann stand … War das nicht der Bursche von vorhin? Der mit der Kirschenkatastrophe, für die er fast hätte bezahlen müssen? – Nein, er täuschte sich nicht! Etwa zehn Jahre alt, dunkles Haar, der tomatenrote Pulli, die zerrissene Jeans. Kein Zweifel! Wahrscheinlich gehörte der Kerl, mit dem er redete, zu diesen miesen Sklavenhaltern, von denen die Frau vorhin gesprochen hatte. Phil ging näher und blieb hinter der Litfasssäule stehen. Von hier aus konnte er den Mann im Profil sehen. Wow! Das war doch … Ein Schauder durchfuhr ihn, als er an dem ungepflegten Bart und der zerrissenen Jacke den Landstreicher aus dem Wald wiedererkannte. Zufall? Nein, diese erneute Begegnung mit dem Alten war nach all dem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatten, ganz bestimmt kein Zufall! Und noch viel weniger dessen Zusammentreffen mit dem dunkelhaarigen Jungen vom Markt, den Dorian so wutentbrannt verfolgt hatte. Er hatte zwar keine Ahnung,

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