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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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Donnerschlag platzte in ihr Bewusstsein eine bislang unbeantwortete, schreckliche Frage: Was geschah mit Dorian, wenn er, wie er sich ausdrückte, die Schlacht gewonnen hatte? – Wenn er sie verlor … Daran wollte sie gar nicht denken. – Aber selbst wenn er sie gewann? Wurde er dann zu einem normalen Jungen aus Fleisch und Blut, wie sie es sich so sehr wünschte, und würde er dann einfach in ihrem Jahrhundert weiterleben? Oder würde er seine menschliche Erscheinung aufgeben und in der Welt der Geister verschwinden?
    Aus einem Impuls tiefster Herzensangst zog sie ihn an sich. Sein Körper fühlte sich wie immer seltsam kalt und blutleer an, aber sein Herz schlug, und sie fühlte seinen Atem als kühle Brise.
    „Valentinchen“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Sie dürfen nicht verzagen! Die Liebe hemmet nichts … Sie werden sehen!“
    Valentina gab sich einen Stoß und entließ ihn mit einem verlegenen Nicken aus der Umklammerung. „Okay“, sagte sie, so fest es ihr nur möglich war, und öffnete die Spülmaschine. „Dann will ich dir mal zeigen, wie so ein Spül-Lakai eingeräumt werden muss.“
    Als sie aus der Küche kamen, legte Phil gerade genervt die Geige auf den Flügel. „Ich verspiel mich andauernd, kann mich heute null konzentrieren. In meinem Kopf dreht sich alles. Diese Warterei macht mich wahnsinnig. Ich halt das nicht aus!“
    „Geht mit genauso“, stöhnte Valentina. „Wir sollten uns irgendwie ablenken. – Hat jemand Lust auf Rommé?“
    Phil nickte Dorian, der wie immer blass war, aber sehr gefasst wirkte, mit einem bewundernden Blick zu. „Du bist wohl nicht die Bohne nervös?“
    „Lieber Freund, mir stehen Glückskinder zur Seite und Kräfte, die des Lichtes sind. Was soll ich demnach fürchten? Indes machte auch mir ein kleines Spiel gewiss Pläsier.“
    Sie spielten Karten, bis die Dämmerung hereinbrach.
    Valentina erhob sich und knipste das Licht an. Morgen dachte sie, morgen um diese Zeit …
    Phil stand ebenfalls auf. „Na gut, dann geh ich jetzt mit Herrn Bozzi raus, solang es noch halbwegs hell ist.“ Er blickte seufzend auf den kleinen Hund, der ihn schwanzwedelnd umtanzte. „Nur ein kleines Stück und nicht durch den Park, dass du's gleich weißt!“
    „Es reicht, wenn du ihn pinkeln lässt“, sagte Valentina. „Alles andere hat er heute schon erledigt. Bleib bei den Laternen und halt die Augen offen, kleiner Bruder!“
    „Du kannst dich drauf verlassen!“ Damit verschwanden Phil und Herr Bozzi in der Diele. Kurz darauf fiel die Haustür zu.
    „Mann, ich hab das Gefühl, als hätte ich einen Pflasterstein im Magen“, sagte Valentina zu Dorian, der noch auf dem Wohnzimmersofa saß und gedankenverloren die Rommékarten aufschichtete. „Mir ist ganz flau.“
    Dorian stemmte sich hoch. „Es gibt ein Zaubermittel, das die Bangigkeit verscheucht. So kommen Sie, liebste Freundin, lassen Sie uns ein wenig musizieren!“
    Er nahm sie bei der Hand und zog sie hinter sich her zum Flügel. „Machen Sie mir die große Freude“, sagte er und wies auf den Klavierhocker.
    „Ach Dorian, ich weiß nicht …“ Valentina ließ sich widerstrebend nieder. Ihr war jetzt so gar nicht nach Klavierspielen zumute, außerdem – sie hatten noch nie zusammen gespielt, und mit Phil dauerte es immer eine Ewigkeit, bis sie ein Stück so weit konnten, dass es auch nur halbwegs klang. Aber Dorian hatte sich schon einem Stapel Noten zugewandt.
    „Vivaldi“, sagte er und zog ein Heft hervor. „Die Vier Jahreszeiten. Der Frühling, liebste Valentina, sollte uns mit seiner heiteren Weise das Herz erleichtern. – Ist Ihnen denn das Stück geläufig?“
    Valentina streckte die Hand aus. „Ja, Phil und ich haben es schon gespielt.“
    Dorian legte das Seidentuch auf die Schulter. Dann nahm er die Geige und stellte sich neben sie, während Valentina die aufgeschlagenen Noten auf der Ablage studierte. Es war schon eine Weile her, dass sie das Stück geübt hatte. Hoffentlich verspielte sie sich nicht. Sie legte die Finger auf die Tasten und sah zu ihm hoch.
    „Wohlan!“, mit einem Lächeln gab Dorian den Einsatz.
    Doch schon mit dem ersten gemeinsamen Takt fiel alle Unsicherheit von ihr ab. Ihre Finger spielten wie von selbst, flink und unbeschwert sprangen sie über die Tasten.
    Die Töne der Violine umtanzten die Klänge des Flügels wie Schmetterlinge und flossen dann wieder geschmeidig zurück in den mitreißenden Strom der Melodie. Unerwartet fügte Dorian am Ende des Satzes

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