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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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eine kleine Improvisation an, in die Valentina unwillkürlich einstimmte. Ohne darüber nachzudenken, ließ sie sich von seinen Harmonien davontragen, wagte dann eine kleine Abschweifung und kehrte wieder zu seinem Motiv zurück. Dorians Augen strahlten, seine Geige schien zu jubeln. Unversehens übernahm Valentina die Führung und lenkte seinen musikalischen Einfall in eine andere Richtung, die er vergnügt aufnahm und variierte. Alles war Musik, alles war leicht und hell und gut. Alles war Gleichklang im Takt ihrer Herzen.
    Als Phil nach getaner Pflicht das Gartentor öffnete, blieb er horchend stehen. Vivaldi. Valentina und Dorian spielten zusammen. Er schmunzelte. „Auch wenn sie's nicht zugibt. Sie ist über beide Ohren verliebt, was sagst du, Herr Bozzi?“
    Herr Bozzi sagte nichts, stattdessen schnupperte er, verbissen an der Leine zerrend, über den Plattenweg. Phils Herz machte einen Sprung bis zur Kehle. Verdammt, hatte Herr Bozzi die Spur des Alten? Während er sich noch angstvoll umsah, schlug der Hund an. Mit aller Kraft, die sein kleiner Körper aufbringen konnte, zog er Richtung Terrasse. Phil gab dem wild kläffenden Tier in höchster Anspannung nach. Ein Rascheln an der Hauswand ließ seinen Blick hochschnellen.
    „Du schon wieder! Du kleiner Mistkerl!“ Damit packte er das Bein eines Jungen, der im Begriff war, übers Spalier in den ersten Stock zu klettern. Der dunkelhaarige Räuber gab einen unverständlichen Fluch von sich und trat seinem Angreifer ins Gesicht. Phil ließ ihn mit einem Schmerzensschrei los, worauf der Junge auf die Terrasse sprang und unter wütenden Tritten nach Herrn Bozzi, der ihn knurrend und zähnefletschend zu halten versuchte, die Flucht ergriff. Der kleine Hund, den Phil im ersten Schreck losgelassen hatte, raste ihm, die Leine hinter sich herschleifend, nach. Phil wischte sich das Blut von der Nase. „Verdammt, wenn ich dich erwische!“
    Er rannte auf die Straße und folgte dem wohlbekannten Gekläffe, das ihn in eine Nebenstraße führte. Er sah gerade noch, wie der Junge in einem Wohnmobil verschwand. Die Gedanken schäumten in seinem schmerzenden Kopf. Was hatte der Bursche gewollt? Ging es ihm jetzt um den Dolch? Hatte der Alte wieder die Finger im Spiel? Schwer keuchend erreichte er das ausladende, aber abgetakelte Gefährt, dessen stumpfer Lack mit Rostflecken wie Masern gesprenkelt war. Er war so wütend! So unheimlich wütend! Dieser Zwerg hatte ihn schon wieder drangekriegt! Ohne zu überlegen, trat er gegen die Tür.
    Einen Atemzug später sah sich Phil einem nicht mehr ganz jungen Kerl gegenüber, der nicht zu der Sorte Menschen gehörte, die er näher kennenlernen wollte.
    „Was?“ Dem schmallippigen Mund entströmte der faulige Atem eines, der es mit der Zahnpflege nicht so genau nahm. Die kleinen Kohleaugen in seinem Raubvogelgesicht funkelten aggressiv, während er auf eine Antwort wartete, wobei er Herrn Bozzi, der sich die Seele aus dem Leib kläffte, genau im Visier behielt. Hinter ihm wetteiferten vier schwarze Haarschöpfe darum, den besten Blick nach draußen zu ergattern. Mit einer Handbewegung scheuchte er die Kinder zurück und kam herausfordernd eine kleine Metalltreppe hinunter.
    Phil fühlte, wie ihm noch immer Blut aus der Nase rann.
    Mit einer entschlossenen Armbewegung wischte er sich übers Gesicht. „Einer Ihrer …“, er hielt inne, weil er nicht recht wusste, wie er sich ausdrücken sollte, ohne den Mann zu provozieren. „Einer Ihrer Söhne hat meinem Freund ein Amulett gestohlen, und eben hab ich ihn erwischt, wie er bei uns einbrechen wollte.“ Er nickte in die Richtung, aus der er gekommen war.
    „Söhne.“ Der Mann lachte ein fratzenhaftes Lachen, das zwei Lücken in den maroden Vorderzähnen entblößte. „Mein Söhne nix klauen. Gut Söhne!“ Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Du gehen!“
    „Ich will nur …“, begann Phil wieder.
    „Gehen! Du gehen!“ Der Ton des Mannes veränderte sich in den eines Schneidbrenners. Als er darauf ein Messer aus dem Gürtel zog, wich Phil zurück. Mit hochgezogenen Brauen lehnte sich der Fremde an den Türrahmen und begann, mit dem Daumen die Klinge auf Scharten zu prüfen. Auf Phils entsetzten Blick schob er spöttisch das unrasierte Kinn vor. „Du sein kleiner Scheißer!“ Damit wandte er sich schulterzuckend um und ließ ihn stehen. Blechern fiel die Tür zu. Aus den schmutzigen Fensterscheiben des Wohnmobils starrten dunkle Augen. Phil biss sich auf die Lippen.

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