Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Weynfeldt wusste, dass Strasser ihn mochte.
Er nahm an, dass es bei dem Treffen um Rolfs Reise zu den Marquesas ging, und steckte das Scheckheft ein.
Er war früh dran. Die Luft im Es Corb war noch frisch, man war eben dabei, die Fenster zu schließen. Weynfeldt setzte sich an einen Fenstertisch für zwei und bestellte ein Wasser, ergänzte die Bestellung aber um einen Jerez, um Strasser keine Angriffsfläche zu bieten. Der nahm es persönlich, wenn jemand in seiner Gegenwart keinen Alkohol trank.
Das Es Corb hieß früher Raben und war ein Wirtshaus gewesen, das vor allem von seinem Bierumsatz lebte. Vor etwas weniger als einem Jahr hatte eine Gruppe junger spanischer Secondos das Lokal übernommen. Sie pflegten eine Mischung aus katalanischer und Schweizer Küche.
Strasser traf mit ungewöhnlich wenig Verspätung ein, blieb am Eingang stehen, sah sich herausfordernd im Lokal um, entdeckte Weynfeldt und nahm Kurs auf seinen Tisch.
»Schon lange hier?«, fragte er Weynfeldt, der sich zur Begrüßung erhoben hatte.
»Eben erst gekommen«, antwortete dieser und gab ihm die Hand. Beide setzten sich.
Strasser begann die Karte zu studieren, die auf seinem Teller lag. Weynfeldt tat es ihm nach. »Die Bacalao-Saucisson-Kombination klingt interessant«, stellte Weynfeldt fest.
»Damit das klar ist«, sagte Strasser, ohne von der Karte aufzuschauen, »heute bezahle ich.«
Weynfeldt verbarg seine Überraschung, sagte nur: »Danke, das nächste Mal bin ich wieder dran«, und sah vom Kabeljau ab. Als der Kellner die Bestellung aufnahm, hatte er sich für den marinierten Thunfisch auf Zwiebelgelee entschieden.
»Ich dachte, du nimmst den Bacalao«, sagte Strasser gereizt. Und zum Kellner: »Der Herr nimmt den Bacalao.«
Der Kellner sah Weynfeldt an.
»Vielleicht ein bisschen schwer zum Mittagessen, nicht?« fragte Adrian.
Strasser ließ den Kellner nicht antworten. »Nur abends soll man nicht schwer essen. Bringen Sie zweimal den Bacalao.«
Der Kellner sah wieder Weynfeldt an. »Die Portionen sind klein.«
»Okay, den Bacalao«, nickte Adrian.
»Siehst du, das ist es, was mich bei dir ankotzt«, fing Strasser an, als der Kellner gegangen war, »ständig diese gönnerhafte Tour. Du denkst, ach der arme Schlucker will mal selber zahlen, lassen wir ihm die Freude und nehmen das Billigste. Weißt du, wo mir das steht? Hier.« Er zeigte mit der waagrechten Hand eine Stelle in der Gegend seiner Nasenwurzel an.
Weynfeldt war erschrocken. Er kannte zwar Strassers cholerische Anfälle seit vielen Jahren, aber um diese Tageszeit und in dieser Situation waren sie ihm neu. »Entschuldige, das war nicht so gemeint. Es ging mir wirklich um die Schwere des Gerichts. Ich muss heute Nachmittag noch arbeiten.«
»Und weiter geht’s im gleichen Stil! Glaubst du, ich nicht? Hast du das Gefühl, du bist der Einzige, der arbeitet? Du merkst nicht einmal mehr, wie überheblich du bist.«
Weynfeldt schwieg schuldbewusst. Der Vorwurf, dass er die Leute von obenherab behandelte, ohne es zu wollen oder zu merken, war ihm nicht fremd.
Der Kellner brachte den Wein, einen halben Liter Ceps Nous in Flaschenqualität. Die beiden warteten schweigend, bis die Gläser gefüllt waren.
Um das Gespräch auf eine andere Ebene zu bringen, wollte sich Adrian nach dem Fortschritt von Strassers Südseeplänen erkundigen, sah aber davon ab. Es könnte ihm als Versuch ausgelegt werden, Strasser seine Position als Bittsteller in Erinnerung zu rufen.
Sie schauten stumm zum Fenster hinaus. Draußen wurde Frühling vorgetäuscht, und die Fußgänger fielen darauf rein. Sie trugen jetzt ihre warmen Sachen nicht mehr über der Schulter oder über dem Arm, waren frühlingshaft gekleidet und aufgelegt wie die irregeleitete Natur.
Strasser sprach erst, als er sein Glas leer und nachgefüllt hatte. »Wegen der Marquesas, vergiss es.«
»Hast du deine Pläne geändert?«
»Nur insofern, als ich sie selbst finanzieren werde.«
»Oh, verstehe.«
Das reichte Strasser nicht als Reaktion. »Ich will nicht mitten im Pazifischen Ozean jeden Morgen aufwachen und denken: ›Das hast du alles dem lieben Adrian zu verdanken. Danke, Adrian! Danke, Adrian!‹«
»Das bräuchtest du nicht. Ich hätte es gerne getan.«
»Ich weiß. Du hast es gern, wenn die Leute von dir abhängig sind. Dafür ist dir kein Opfer zu groß.«
»Es wäre kein Opfer gewesen, Rolf«, beschwichtigte Adrian und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen.
»Danke, dass du mir das unter die
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