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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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ohne Publikum stets die ihrer Magerkeit angemessenen Portionen zu sich genommen.
    Auch im Agustoni war es bei richtigem Winterwetter gemütlicher. Der Kohleofen, der im Sommer als Ablage für Servietten diente, war im Winter zusätzlich zur Zentralheizung in Betrieb. Agustoni ließ es sich nicht nehmen, zu den Stoßzeiten höchstpersönlich und zeremoniell Briketts nachzulegen. Die Fenster waren geschlossen, und es war der immer wieder von den Behörden beanstandeten Lüftung überlassen, die Mischung aus Rauch und Küchendünsten hinauszubefördern. Die Kellner mussten den Säumen der Mäntel ausweichen, die von den Stuhllehnen auf den Boden hingen. Es war lauter im Lokal, es wurde mehr getrunken, die Gäste schoben den Moment, an dem sie wieder auf die kalte Straße mussten, immer wieder hinaus.
    Rolf Strasser hatte den Donnerstagstisch nur einmal geschwänzt, jetzt erschien er wieder, mürrisch und angetrunken und zu spät wie eh und je. Weynfeldt hatte ihn nie zur Rede gestellt wegen Baiers Auftrag. Nicht nur, weil er Konflikten lieber aus dem Weg ging, er hatte noch andere Gründe.
    Da Strasser als einer der Letzten kam und daher weit weg von Weynfeldt saß, war es leicht, das Gespräch mit ihm zu meiden. Sie winkten sich aus der Distanz unverbindlich zu, und damit hatte es sich.
    Außer Alice Waldner fiel es niemandem auf, dass sich das Verhältnis zwischen den beiden abgekühlt hatte. Aber sie fragte: »Was hat Rolf? Wollte er Geld, und du hast nein gesagt?«
    »Eher umgekehrt«, hatte Adrian geantwortet. Sie hatte das für einen guten Witz gehalten und ihr Kinderlachen erklingen lassen.
    Während eines Donnerstagstischs verabredete sich Weynfeldt mit Kaspar Casutt, um mit ihm eine weitere Beschäftigung zur Verkürzung der Wartezeit zu besprechen.
    Aus gegebenem Anlass trafen sie sich in Weynfeldts Wohnung, und aus Gründen, die mit dem Thema der Besprechung zu tun hatten, bat er Frau Hauser, einfach ein kleines kaltes Büfett mit ein paar Bündner Spezialitäten – Trockenfleisch, Salsiz, Birnbrot, Käse und Nusstorte – bereitzustellen, sie würden sich dann selbst bedienen.
    Casutt kam, wie immer im Winter, ohne Mantel, lediglich mit einem roten Wollschal über dem schwarzen Jackett. Adrian war überzeugt, dass es ihn genauso fror wie ihn, den Städter. Aber Casutt wollte damit seine Verachtung für die lächerlichen Winter im Tal demonstrieren.
    Es war ihm anzusehen, dass er etwas enttäuscht war über das frugale Mahl – er war Besseres gewohnt von Frau Hauser. Aber angesichts des heimatlichen Charakters des Angebotenen bediente er sich klaglos. Und dem Veltliner, einem der seltenen Spitzenvertreter seiner Gattung, sprach er mit wachsendem Wohlwollen zu.
    Als er dann auch noch erfuhr, dass der Grund der Einladung ein Auftrag war, stieg seine Stimmung bis zu jenem selten erreichten Punkt der Liebenswürdigkeit, bei dessen Erreichen sich seine Freunde erinnerten, weshalb er ihr Freund war.
    Sie besichtigten, jeder mit einem Glas in der Hand, die zukünftige Baustelle, und Kaspar sagte gerade: »Fitnessraum? Wieso Fitnessraum? Midlifecrisis? Dann verschaff dir lieber mehr Bewegung, Joggen, Wandern, Bergsteigen. Oder Tennis, Golf. Ja, Golf, das passt zu dir. Und hier machen wir einen Multimediaraum. Oder ein Heimkino. Genau: ein Heimkino. Acht Plätze. Oder zwölf. Dolby fünf Punkt eins.«
    »Ich möchte aber lieber einen Fitnessraum, Kaspar«, getraute sich Adrian einzuwenden.
    Casutt dachte kurz nach. Dann überraschte er Adrian mit dem Satz: »Okay, du bist der Bauherr.« Und wechselte fliegend von Heimkino zu Fitnessraum. »Gummi, schwarzer Gummibelag, stark bremsend. Elastischer Sportboden. Vielleicht an den Wänden hochgezogen, dreißig, vierzig Zentimeter. Vielleicht auch nicht. Und hier vielleicht die ganze Wand Spiegel. Am Anfang kannst du ihn ja verhängen«, grinste er, »aber nach ein paar Monaten Training…«
    Das konnte Casutt: Nur mit Worten und Gesten einen Raum so bildhaft heraufbeschwören, dass man ihn vor sich sah, sich in ihm befand und die Übergangsphase vom Ist-zum Sollzustand nur noch als ein zu vernachlässigendes Detail betrachtete.
    So ging es Weynfeldt wieder, obwohl er wusste, dass Bauen mit Casutt eine nie enden wollende Reihe von Verzögerungen, Streitereien mit Handwerkern und Lieferanten und grundsätzlichen Diskussionen über Architektur, architektonische Konsequenz und die soziale Bedeutung des Bauens für die Menschheit an sich beinhaltete.
    Mitten in seinen

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