Der letzte Weynfeldt (German Edition)
sich nachher noch traf: Vue du Lac, ein etwas altmodisches Feinschmeckerlokal der Ancienne Cuisine in den Hügeln außerhalb der Stadt. Für die Gäste, die ohne eigenen Wagen gekommen waren, wartete eine Schlange Taxis.
Hie und da versuchte die Witwe ihrem Ruf als schockierende Porzellandame gerecht zu werden. Als Adrian sie umarmte, zischte sie ihm ins Ohr: »Kratzt der mir doch einfach ab.« Zum ersten Mal sah er Tränen in ihren Augen.
In einem Saal mit Blick auf den See hinunter stand ein kaltes Büfett alter Schule mit Horsd’œuvres, Butter-und Eisskulpturen und wachsamen Personal, das die Platten immer wieder füllte und appetitlich machte.
Als Weynfeldt mit vollem Teller zu seinem Platz zurückging, stellte Baier sich ihm in den Weg. »Gestern hat deine Sekretärin behauptet, du hättest kein Handy. Und heute sabotierst du damit ganze Beerdigungen.«
»Gestern hatte ich noch keines.«
»Und weshalb heute?«
»Erreichbarkeit.«
»Du wirst jeden Tag vernünftiger«, grinste Baier und hinkte davon.
Zu Hause erinnerte sich Weynfeldt an das Handy, das ihn in solche Schwierigkeiten gebracht hatte. Es gelang ihm, es einzuschalten. Aber obwohl er bestimmt eine halbe Stunde im Menü herumtippte, fand er nicht heraus, wer ihn angerufen hatte.
Er versuchte, den Telefonbeantworter abzuhören. Ebenfalls ohne Erfolg. Er suchte nach der Gebrauchsanweisung, fand keine und drückte so lange auf dem Gerät herum, bis auf dessen Display ein rotes Lämpchen unaufhörlich zu blinken begann und durch nichts zu beruhigen war.
22
Adrian wartete zwar auf Lorenas Anruf, aber dieses Warten war keine Beschäftigung, es war ein Zustand, und gar nicht mal ein so unangenehmer. Wie Fliegen.
Sobald Weynfeldt ein Flugzeug betrat, wurde er in diesen Zustand absoluter Passivität versetzt. Natürlich aß er, was ihm serviert wurde, und las er Zeitung oder ein Buch. Passiv war er nur, was das Fliegen selbst betraf. Er wusste, dass er es nicht beeinflussen konnte, und delegierte es bedingungslos an die, die es konnten.
Ähnlich verhielt es sich mit Lorenas Anruf. Er überließ sich ganz ihr und ihrer Fähigkeit, zum ihr geeignet scheinenden Zeitpunkt zum Hörer zu greifen und ihn anzurufen. Sie würde es tun, denn sie hatte es schon einmal getan.
Von Véronique hatte er erfahren, dass sie, als sie zufällig am Samstagmorgen im Büro war, einen Anruf von ihr entgegengenommen hatte. »Von der Dame, der ich, falls sie anruft, auf jeden Fall deine Handynummer geben sollte.«
Demnach war es Lorena gewesen, die während der Bestattung angerufen hatte. Er reichte Véronique etwas verlegen sein Handy. »Kannst du nachsehen, ob sie angerufen hat?«
Seine Assistentin drückte auf ein paar Tasten. »Einen Anruf einer unbekannten Nummer hattest du am Samstagvormittag. Und dann noch ein paar versäumte im Laufe des Wochenendes. Ebenfalls unbekannte Nummer. Wenn ich einen Anruf erwarten würde, würde ich abnehmen, wenn mein Handy klingelt.«
»Es hat nicht geklingelt.«
Véroniques für ihren Körperumfang erstaunlich schlanke Finger rasten nochmals über die Tastatur. »Kunststück«, lächelte sie dann, »du hast auf stumm geschaltet. Voilà, jetzt klingelt es wieder.«
Beim Telefonbeantworter hatte es etwas länger gedauert, bis er wieder funktionierte. Erst nach zwei Tagen war es Frau Hauser aufgefallen, dass nicht nur keine neuen Nachrichten auf dem Gerät waren, sondern dass auch das Telefon nie klingelte. Der herbeigerufene Techniker stellte fest, dass jemand nicht nur die Ansage gelöscht, sondern das Gerät auch so programmiert hatte, dass es sich noch vor dem ersten Läuten einschaltete und seine stumme Ansage laufen ließ.
So, wie Adrian Weynfeldt im Zustand des Fliegens Zeitung lesen oder essen konnte, so konnte er auch im Zustand des Wartens seinen täglichen Verrichtungen nachgehen.
Die letzten Vorbereitungen für die Auktion nahmen einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch. Véronique und er machten das Schlusslektorat des Katalogs, und zum ersten Mal in ihrer Zusammenarbeit war sie es, die die Druckunterlagen zum Hauptsitz nach London brachte.
Normalerweise benutzte er diese Gelegenheit für ein paar Einkäufe in Mayfair und einen Aufenthalt – auf eigene Kosten, denn diese überstiegen sein Spesenbudget bei ›Murphy’s‹ bei weitem – im Connaught. Das diskrete Haus war schon das Lieblingshotel seines Vaters gewesen. Er vergaß nie zu erwähnen, dass der Zimmerbutler dort sogar wusste, bei welcher
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