Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Wassertemperatur er zu baden beliebte.
Das Connaught hatte zwar seither viel von seinem Stil verloren und warb jetzt mit Antirutschmatten in den Badewannen und zwei Zimmern zum Preis von einem für Familien mit Kindern. Aber Weynfeldt mochte es noch immer. Es erinnerte ihn an seine Jugend. Er hatte dort manchmal gewohnt, wenn seine Eltern ihn zum Royal Ascot mitgenommen hatten.
Aber diesmal zog Adrian es vor, zu Hause und auf Ab-ruf zu bleiben. Er kümmerte sich um die Organisation der Ausstellung einiger ausgewählter Stücke der Auktion in St. Moritz, nur um feststellen zu müssen, dass ihm Véronique nichts zum Organisieren übriggelassen hatte. Er verbrachte viel Zeit am Telefon mit Sammlern und Kuratoren, von denen er wusste, dass einige Lose der Auktion in ihre Sammlungen passten.
Bei ihrer Rückkehr nach drei Tagen sah es in Véroniques Büro so chaotisch aus wie in seinem eigenen. Er empfing sie mit einer Schachtel Pralinés und einem Strauß Flieder, ihrer Lieblingsblume, und nahm sich vor, mit dem Chef der Niederlassung endlich einmal über ihr Gehalt zu reden.
In die Zeit des Wartens auf ein Lebenszeichen von Lorena fiel auch der lange angekündigte Kälteeinbruch.
Weynfeldt sah die Kaltfront buchstäblich kommen. Er befand sich bei Diaco zur letzten Anprobe der beiden Anzüge, die er sich extra wegen des ungewöhnlich warmen Winters hatte machen lassen, als es plötzlich dunkel wurde im Anproberaum. Wie ein grauer Filzteppich hatte sich eine kompakte Wolkendecke vor die Sonne geschoben, die eben noch übermütig von einem etwas schlierigen Himmel geglitzert hatte. Fast im selben Augenblick blähte ein eisiger Wind den Tüllvorhang vor dem einen Spalt weit geöffneten Fenster. Giuliano Diaco schloss es.
»Ich glaube, Sie können sich Zeit lassen mit den beiden Anzügen«, bemerkte Weynfeldt.
Als er vor Diaco & Sohn ins Taxi stieg, trieben ihm bereits kleine scharfe Flocken ins Gesicht.
»Scheißwinter«, knurrte der Fahrer.
»Aber gut fürs Geschäft«, sagte Adrian jovial.
»Wieso, sind Sie Skilehrer?«, versetzte der Chauffeur bissig.
»Ich meinte Ihr Geschäft.«
»Ich bin nicht Geschäftsinhaber. Ich bin nur ein unterbezahlter Taxifahrer, der sich keine Maßanzüge leisten kann.«
Für den Rest der Fahrt durch das düstere Schneetreiben schwiegen beide. Weynfeldt bestrafte den Mann mit einem demütigend hohen Trinkgeld.
Es war wie immer: Der von allen erwartete, tausendfach heraufbeschworene Wintereinbruch löste trotzdem ein Chaos aus. Er überforderte die städtischen Räumungsmannschaften, verstopfte die Straßen mit liegengebliebenen Fahrzeugen optimistischer Autobesitzer, die bereits die Sommerreifen aufgezogen hatten, verursachte Verspätungen im öffentlichen Verkehr, bildete den Hauptgesprächsstoff in Büros, Geschäften und Restaurants und verdrängte die Weltpolitik aus den Schlagzeilen.
Der wartende Weynfeldt betrachtete die Einstellung auf den Wettersturz als eine der vielen Aufgaben, die ihm die Wartezeit verkürzten. Zum Beispiel verabredete er sich mit Gabriel Talberger, dem Filmproduzenten und Internatskameraden während eines weit zurückliegenden Jahres. Weynfeldt hatte ihn zu einem Mittagessen im Bel Etage eingeladen, dem Restaurant des Grand Hotel Imperial. Talberger hatte sich über die Einladung gewundert. Es war nicht einfach gewesen, in seiner Agenda einen Termin zu finden. Aber er hatte es, wohl aus Neugier, kurzfristig möglich gemacht.
Das Bel Etage war zwar kein Lokal für kurzfristige Reservationen, aber weil ›Murphy’s‹ im Ballsaal des Imperial seine Auktionen durchführte, machte man für Herrn Doktor Weynfeldt das Unmögliche jeweils möglich. Er erhielt einen der Tische, die das Hotel für die VIP s unter den Gästen in Reserve hielt. Dort erwartete er Talberger, wie immer um einiges zu früh.
Er hatte den Filmproduzenten schon einige Jahre nicht mehr gesehen und erkannte ihn erst, als er schon beinahe den Tisch erreicht hatte. Er war dick geworden und auf eine altmodische Art kahl. Die Nase, früher eine Landmarke seiner Physiognomie, war durch die Gedunsenheit seines Gesichts relativiert und dieses dadurch proportionierter, aber auch fremder geworden. Einzig die Augen, eisblau und lichtempfindlich, blickten so skeptisch und hochmütig wie eh und je.
Talberger aß sich durch das Menu Gourmet, während sich Weynfeldt an den Businesslunch hielt. Dadurch waren seine Essenspausen zahlreicher und länger als die seines Gastes. Er sah sich gezwungen,
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