Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
Das war ihr Herrschaftsbereich. Ihre Mutter war genauso gewesen.
Die Hintertür war aus Plastik ebenso wie die Haustür, verfügte aber über ein Fenster, eine lange, gesprenkelte Milchglasscheibe im PVC-Rahmen. Er betrachtete das Schloss genauer, stellte sich sehr dicht davor, sodass sein Schatten, falls jemand hinsah, in den Umrissen des Hauses verschwand. Es war kompliziert, ein Riegel und ein Yale-Schloss, viel Arbeit.
Er wandte sich zum Wintergarten. Wenn er ein Stück aus einer der unteren Scheiben schnitt und aus dem Rahmen hob, würde er seitlich hindurchpassen, das dürfte nicht allzu schwierig werden. Er hielt inne, horchte auf Geräusche von drinnen und draußen, genoss aber vor allem den Moment. Diese ruhigen Minuten, in denen er sich voll und ganz auf ein anstehendes Problem konzentrierte. Wenn sein heißer Atem feuchte Tröpfchen unter seiner Maske bildete, dann war er zufrieden.
Er wollte eine Zigarette. Er wollte immer eine Zigarette. Manchmal gierte er sogar beim Rauchen nach einer Zigarette.
Er nahm ein Taschenmesser aus der Tasche, prüfte die Klinge vorsichtig mit dem Finger und spuckte aufs Glas. Er hatte auch früher schon Spucke an einem Tatort hinterlassen, aber er hatte die häufigste Blutgruppe und die Polizei würde nicht auf ihn kommen, selbst wenn sie die Spuckespuren sicherten. Die Klinge scharrte leise über die Scheibe und er drückte mit den Fingerspitzen dagegen, erschrak, als das Glas an der Schnittkante brach und das dumpfe Krachen über den Rasen hallte. Keine Bewegung.
Von der Kante aus zog er den ersten Abschnitt heraus, dann den nächsten und den letzten. Gerade breit genug. Er schob sich mit den Schultern durch das Loch, wand sich hindurch, landete auf dem kalten Boden wie eine Schlange nach der Häutung.
Er stand auf, sah sich um, tapste leise durch die Küche in den Flur – Teppichboden, sehr gut. Er entriegelte die Schlösser der Haustür, ließ die Tür angelehnt, um später schneller verschwinden zu können, und beobachtete die Tür, vergewisserte sich, dass sie nicht aufschlagen würde. Gut.
Oben tappte er über die steilen, ebenfalls mit moosgrünem Teppich ausgelegten Treppenstufen nach oben. Halt. Atmen hinter einer Tür, das Elternschlafzimmer, ein Mann schnarchte pfeifend, leise und regelmäßig. Das Badezimmer, die Tür zum Kinderzimmer geradeaus.
Halt.
Ihn überfiel Übelkeit. Ein Durcheinander an Bildern. Sein eigener Enkel, der an Silvester bei ihnen übernachtet, sich auf dem Sofa an Val geschmiegt hatte, die Wange auf ihrem Oberschenkel, und McBree, der durch das dunkle Haus schlich, um ihm etwas anzutun.
Blödsinn.
Er ging weiter, seine Sohlen glitten über die Teppichfasern. Als er die Finger vom Geländer am Treppenabsatz löste, erzeugten seine Gummihandschuhe einen Widerstand. Dann stand er vor der Zimmertür des Jungen, spürte die Präsenz eines lebendigen Wesens auf der anderen Seite.
In Gedanken ging er kurz den Ablauf durch: die Tür öffnen, eintreten, den Körper finden, Messer in die linke Seite, direkt ins Herz. Es ging um eine klare Aussage. Jeder Tropfen Blut, jede Aktion, sei sie auch noch so abstoßend – war notwendig. Doch McBrees Herz wog steinschwer in seiner Brust. Die Rechtfertigungen funktionierten heute Abend nicht. Ein Kind. Ein gesundes Kind. Es schlief, vertraute darauf, behütet zu sein in dieser Welt.
Er erinnerte sich an seinen Schul-Shakespeare. Macbeth. Er hatte mindestens die Hälfte längst wieder vergessen. »Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen, dass Rückkehr so schwierig wär’, als durchzugehen.« Irgendwie so ähnlich. Los, mach einfach weiter.
Seine rechte Hand umfasste den Messergriff. Seine linke griff nach der Türklinke, mit einer seltsamen Bewegung aus dem Handgelenk heraus drückte er sie herunter, das Schloss öffnete sich.
»Was machen Sie hier?«
McBree drehte sich auf dem Absatz um. Er hatte keine Schritte gehört, keine Tür, keine tapsenden Füße und keine Hand, die sich an der Wand abstützte. Eine Frau, gut aussehend mit blonden, vom Kissen zerdrückten Haaren und schläfrigen Augen, stand in einem langen weißen Nachthemd in der Tür zum Elternschlafzimmer, oben war es nicht zugebunden und gab den Blick auf die Rundung ihrer Brüste frei. Er holte mit dem Messer aus, doch sie wich rückwärts in den Raum zurück und er schnitt ihr nur in die Haut, ritzte einen Halbmond auf ihre linke Brust. Sie fiel zu Boden, krabbelte rückwärts auf allen vieren wie eine Spinne, Blut strömte
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