Der letzte Wille: Thriller (German Edition)
sich Ihr Freund befindet, aber wir haben zwei Möglichkeiten: Ich kann ihn in Ordnung bringen, was aber dauern wird, oder ich kann Sie einfach so zu ihm führen. In welcher Verfassung sind Sie?«
Paddy zuckte mit den Schultern. Genau genommen war sie in beschissener Verfassung, aber sie wollte in die Redaktion und die Story eintüten, bevor die nächste Ausgabe in Druck ging.
»Mehr bis minder.«
Aoife lächelte, weil sie die Anspielung verstanden hatte. »Beckett«, sagte sie. »Kommen Sie mit, dann lassen Sie uns mal nach Ihrem Freund sehen.«
Aoife führte Paddy einen schmalen Gang entlang zu einer großen Stahltür, die Polizisten trotteten hinter ihnen her. Ein Messgerät an der Wand daneben zeigte die Temperatur an. Paddy hatte hier schon einmal eine Leiche gesehen, lange war das her.
»Werden die Schubladen nicht mehr benutzt?«
»Die Dinger haben schon vor Ewigkeiten den Geist aufgegeben. Hier liegen sie dicht an dicht.« Mit der Wucht ihres gesamten Federgewichts stemmte Aoife eine große Tür auf. Ein eisig kalter Schwall alkoholgeschwängerter Luft schlug in den Gang. Gleißende Neonröhren flackerten in dem Kühlraum auf und warfen tintenschwarze Schatten unter die mit Tüchern abgedeckten Rollbahren. Die Kammer war vollbesetzt. Aoife musste sich seitlich zwischen den Bahren durchschlängeln, um ans hintere Ende des Raums zu gelangen.
»Welche Nummer haben Sie gesagt?«, rief sie ihnen zu.
Blane sah noch einmal in seinem Notizbuch nach und wiederholte die Nummer.
Sie prüfte einige der Schilder, die an den Zehen der Leichen befestigt waren, und murmelte: »Da haben wir ihn ja«, als sie Terry gefunden hatte. Sie warf einen Blick quer durch die volle Kühlkammer und atmete seufzend eine weiße Wolke aus. »Verdammt. Wenn wir ihn rausholen wollen, müssen wir den ganzen Laden ausräumen.«
Mehr als ein Dutzend Leichen lagerten dort. Es würde eine Weile dauern, alle Bahren rauszuschieben, und danach konnten sie sich auch schlecht einfach so aus dem Staub machen und Aoife mit den Leichen im Gang stehen lassen.
»Wissen Sie was, ich komm einfach rein«, sagte Paddy, nahm all ihren Mut zusammen und trat in die Kälte. Mit hoch erhobenen Händen schob sie sich zwischen den mit Tüchern abgedeckten Leichen hindurch und versuchte, möglichst nirgendwo anzustoßen.
»Ich auch«, sagte Kilburnie schnell. Familienfürsorge. Ellbogen-Grabscher. Uniformiertes Mitgefühl. Sie folgte Paddys Route an den Rollbahren vorbei, blieb ihr dicht auf den Fersen, bis sie beide Aoife gegenüber an der richtigen Bahre standen und Dunstwolken über dem kalten weißen Laken ausstießen. Paddy blickte hinunter. Terry lag da drunter. Ein terryförmiges Stück Fleisch. Nackt. Verwesend. Plötzlich war der Tod kein ausgedehnter Urlaub mehr. Er war Wirklichkeit geworden.
Aoife McGaffry spürte ihre Anspannung. »Waren Sie mit ihm verwandt?«
»Nein.« Paddy konnte nicht verhindern, dass ihre Augen die Hügel und Täler des Lakens vor sich taxierten. »Nein, nein. Wir kannten uns nur sehr lange, das ist alles.«
Aber das war nicht alles. Sie hatten sich elf Jahre lang gekannt, und als er weg war, hatte sie an ihn gedacht, sich Sorgen um ihn gemacht, sich in seiner Abwesenheit vorgestellt, was er von dem halten würde, was sie so trieb. Terry Hewitt war für sie fast zehn Jahre lang der Maßstab aller Dinge gewesen. Er war die Messlatte ihres Erfolgs, der Ansporn aktiv zu werden, eine Aufforderung anständig zu bleiben. Sie wünschte, er wäre nie nach Glasgow zurückgekommen.
Paddy bemerkte, dass Aoife mit ihr redete. »… ziehe das Tuch langsam zurück. Sie sehen ihn am besten erst an, wenn ich das Laken entfernt habe, nicht wenn ich es herunterziehe. Dann ist es einfacher. Und treten Sie lieber einen kleinen Schritt zurück.«
Wie betäubt wich Paddy ein Stück zurück, stieß mit dem Hintern an die nächste Bahre, zuckte zusammen, stellte sich vor, dass ihr eine Leiche an den Arsch grapschte.
»Keine Panik, treten Sie einfach nur zurück. Es ist ganz gut, wenn sich außer dem Verstorbenen noch anderes in Ihrem Blickfeld befindet. Immer schön die Relationen im Auge behalten. Wenn es Ihnen zu viel wird, sehen Sie mich an. Bereit?«
Sie fasste den oberen Rand des Lakens mit den Händen. Paddy starrte Aoife ins Gesicht und nickte.
»Gut, dann geht’s los.«
Entgegen der Anweisungen beobachtete Paddy, wie Aoife das Tuch zurückschlug und es Terry unter das Kinn steckte, als wäre er ein schlafendes Kind. »Versuchen
Weitere Kostenlose Bücher