Der letzte Winter
die Uhr gesehen. Irgendwann mitten in der Nacht.«
»Hat jemand anders etwas gehört?«
»Nein, weder in dem Haus noch die Nachbarn in der Götabergsgatan.«
»Er kann ja wer weiß was gehört haben.«
»Was sagen die anderen Hausbewohner?«, fragte Sverker Edlund. »War einer von denen wach und ist durchs Treppenhaus gegangen?«
»Nein«, antwortete Patrik Lennartsson.
»Und da sind sich alle ganz sicher?«
»Wenn sie nicht schlafgewandelt sind.«
»Kann man in diesen Wohnungen wirklich Schritte aus dem Treppenhaus hören?«, fragte Mogens. »Sind die nicht auf Teufel komm raus lärmgedämmt? Wände so dick wie die Chinesische Mauer?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Susanna Jax. »Aber er behauptet, Schritte gehört zu haben.«
»Ist er ganz sicher?«
»Er hat was gehört, behauptet er. Das wie Schritte klang. Aber mehr kann er nicht sagen.«
»Hat er solche Schritte früher schon mal gehört?«, fragte Mogens.
»Ich habe ihn nicht gefragt.«
»Dann tu das.« Mogens sah Susanna Jax an. »Nun guck nicht so sauer.«
»Ich hätte selbst daran denken sollen«, sagte sie.
»Vielleicht ist er verrückt«, sagte Edlund. »Hört ständig Schritte im Kopf.«
»Du brauchst mir nicht zu helfen, Sverker«, sagte sie.
»Apropos verrückt«, sagte Mogens. »Wann können wir mit den Geständnissen rechnen?«
»Von beiden oder einem von ihnen?«, fragte Edlund.
»Möglichst von beiden, ist doch klar.«
»Vielleicht nie«, antwortete Edlund.
9
T orsten Öberg war stellvertretender Chef der Spurensicherung, und es gefiel ihm nicht, dass Leichen in den äußeren Schären herumschwammen, identifiziert oder nicht. Er mochte den Tod nicht. Er mochte Gewalt und Verbrechen nicht. Sein Job wäre viel einfacher, wenn es keine Gewaltverbrechen gäbe. Dann könnte er Pilze sammeln gehen. Oder angeln. Aber angeln mochte er auch nicht, und er hatte noch nie auch nur einen einzigen Pilz aus der Erde gedreht, nicht einmal als Kind, soweit er sich erinnerte, auch Beeren hatte er kaum gepflückt. Das war nicht dieselbe Herausforderung. Sein Job war eine Herausforderung. Man musste ihn nicht lieben, aber Öberg konnte sich schwerlich eine andere Tätigkeit vorstellen. Als Kind hatte er darüber nachgedacht, warum tote Fliegen so aussahen, wie sie aussahen. Grashüpfer, Wespen. Wo sie ihrem Schicksal begegnet sein mochten und wie und vielleicht auch manchmal, warum sie sterben mussten. Aber das »Warum« war nicht seine Abteilung. Ob sie Spuren am Körper oder der Kleidung des Toten gefunden hatten? Nein. Wenn es Spuren von vorher gegeben hatte, so waren sie vom Salzwasser abgespült worden. Salzwasser hatte die perfekte Wirkung. Leg das Resultat deines Verbrechens in Salzwasser, und die meisten Spuren verschwinden. Es wirkt wie Säure.
Er saß an seinem Schreibtisch und studierte die Bilder, die vor ihm lagen. Sie zeigten nicht den Toten an Winters Strand, sondern zwei Zimmer, die einander auf den ersten Blick ähnelten. Aber welches Schlafzimmer ähnelte nicht dem anderen? Sie waren gewissermaßen wie Hotelzimmer. Das Bett sehr dominant. Ein Möbelstück, ein Stuhl. Fußboden, Nachttische, etwas darauf. Etwas an den Wänden. Etwas auf den Betten. Öberg betrachtete eins der Fotos. Der Frauenkörper war mit einem Laken bedeckt. Nur das Gesicht war zu sehen. Es war ganz offensichtlich das Gesicht eines toten Menschen, die Blässe, die Leichenflecken. Das hatte nichts mit Schlaf zu tun.
Einige wenige, sehr undeutliche Druckstellen, die aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Gewicht eines Kissens herrührten, das auf ihr Gesicht gedrückt worden war. Ein minimaler Riss in einem Nasenloch. Sie hatte keinen Widerstand geleistet, es hatte keinen Widerstand gegeben. Sie hatte geschlafen, war bewusstlos gewesen. Sie musste bewusstlos gewesen sein. Er betrachtete ein anderes Bild, ein anderes Gesicht. Hatte auch diese Frau geschlafen? Das Bild strahlte die gleiche Ruhe aus. Auch ihr Gesicht war friedlich im Tod. Das war falsch. Das war der größte Fehler. Es sollte nicht friedlich aussehen. Weitere Personen waren auf den sechs Fotos nicht zu sehen, die vor Öberg lagen, drei aus jeder Wohnung. Aber es waren mehr Personen anwesend gewesen, bevor die Fotos aufgenommen worden waren. Öberg rieb sich die Nasenwurzel. In den vergangenen Tagen plagte ihn dort ein irritierender Juckreiz, vielleicht ausgelöst durch das Licht in diesem Raum. Sie hatten neue Schreibtischleuchten bekommen, moderne mit aggressiverem Licht. Das hing natürlich mit
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