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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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nicht los. Es hatte Zöpfe gehabt und unter der offenen Jacke ein nettes Kleid getragen. Eine kleine rote Mütze. Kinderheimkleid. Kinderheimjacke. Was weiß ich. Ich weiß nur, dass ich das Elend nicht mehr sehen will. Nicht dieses. Es gibt so viel anderes Elend.
    Sie ging durch die Unterführung. Die Wände waren mit zwanzig Lagen Geschmier bedeckt. Hier unten roch es nach Kot und Urin. Kaum vorstellbar, dass feine Leute den Tunnel auf dem Weg zum Sjömagasinet benutzten. Sie passten nicht ins Bild. Gerda Hoffner ging weiter zum Wasser. Es dämmerte bereits. Die Kräne am anderen Ufer wurden zu Silhouetten, Skeletten. Der Himmel färbte sich rot. In der giftigen Luft wirkte er sehr klar. Jetzt roch es nach Diesel und Öl, angenehmer als der Geruch im Tunnel. Einige Limousinen hielten vor dem Sjömagasinet. Gut gekleidete Paare stiegen aus. Ein spätes Mittagessen oder ein sehr frühes Abendessen. Vielleicht wollten sie auch nur etwas trinken, vielleicht genauso viel wie Mama und Papa oben auf dem Jaegerdorffsplatsen, aber auf ihre Art, an Tischen. Der stadtbekannte Restaurantbesitzer stand vor seinem Lokal und begrüßte die Gäste. Eine Frau in pelzgefütterter Jacke stakste mit lautem gackernden Lachen auf ihn zu. Es klang in Gerda Hoffners Ohren sehr falsch. Vielleicht sind sie Promis, bekannte Fernsehgrößen. Ich bin nicht mehr auf dem Laufenden.
    Sie betrat den Bootsanleger. Auf einem der alten Segelschoner, die in einer Reihe am Steg lagen, arbeiteten Männer. Die Pötte sahen halbtot aus, aber es gab immer jemanden, der sich mit Wiederbelebungsversuchen beschäftigte. Für dieses Interesse empfand sie Bewunderung, dafür hatte sie Verständnis. Die Stadt lag am großen Meer, und wenn man am Meer wohnte, sollte man segeln. Sie dachte an ihre Eltern. Sie waren in das deutsche Binnenland zurückgekehrt, das östliche deutsche Binnenland. Auch dafür hatte sie Verständnis. Für die Eltern bedeutete es die Freiheit. Sie brauchten kein Meer. Draußen auf dem Fluss fuhr die Dänemarkfähre der Stena-Linie vorbei. Sie war auf dem Weg in den Hafen. Eine hell erleuchtete schwimmende Festung. Auf dem Oberdeck standen Leute, kleine Punkte, wie Ameisen. Vielleicht winkten sie. Gerda Hoffner hob die Hand und winkte zurück, just in case . Sie drehte sich um. Zwanzig Meter von ihr entfernt stand jemand, ein Mann. Er hob die Hand. Sie drehte sich wieder zur Fähre um. Die Leute winkten. Sie schaute sich erneut um. Der Mann war verschwunden. Das war unmöglich. Dann müsste er ins Wasser gesprungen sein. Sie blinzelte. Sie hatte Angst. Jetzt war sie allein auf dem Anleger. Bis zum Land waren es hundert Meter. Lieber Gott. Was passiert mit dir, Gerda? Sie sah die Gesichter der toten Frauen, wollte sie nicht mehr sehen. Doch sie konnte sich nicht dagegen wehren, das Bild kam einfach. Sie machte sich auf den Rückweg. Die Männer auf dem Segelschoner waren auch verschwunden. Sie war allein. Sie ging auf die Lichter am Ufer zu. Das Sjömagasinet leuchtete genauso festlich wie eben die Fähre, die jetzt wie eine schwimmende »Titanic« den Fluss entlangglitt. Wie war es möglich, dass eine Fähre auf dem Wasser schwamm? Das haben wir auch nicht gelernt auf der Polizeihochschule.
    Martin Barkner hatte sich beruhigt. Die Angst vor dem Unbekannten war nicht mehr so groß. Oder dem Bekannten. Die Angst vor dem Bekannten.
    »Wer hat es getan?«, fragte Winter. »Wer hat Madeleine getötet?«
    Barkner schaute auf. Er hatte auf die Tischplatte gestarrt. Winter nahm die Fotos in die Hand.
    »Wer hat das getan?«
    »Glauben … glauben Sie … nicht mehr, dass ich es war?«
    »Wer, glauben Sie, war es?«, fragte Winter.
    »Ich … ich weiß es nicht. Woher soll ich das wissen?«
    »Haben Sie es getan?«
    »Nein!«
    »Haben Sie Madeleine getötet?«
    »Nein!«
    »Wer war es?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Wer könnte es getan haben?«
    »Ich weiß es nicht!« Barkner wollte aufstehen, sank aber wieder zusammen. »Warum glauben Sie mir nicht?!«
    Winter schwieg. Barkner wich seinem Blick aus. In den vergangenen Minuten war es dunkler geworden im Raum. Das Licht draußen verblasste rasch. Es ging jetzt schnell auf Weihnachten zu. Winter versuchte nachzurechnen. Welches Datum hatten sie heute? Noch drei oder vier Tage bis Weihnachten?
    »Wer könnte Madeleine etwas Böses wollen?«, fragte er.
    Barkner antwortete nicht. Das war eine sinnlose Frage.
    »Jemand wollte ihr Böses«, sagte Winter.
    »Ich war es nicht.«
    »Wer?«
    »Ich weiß

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