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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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er den Mann dorthin führen.
    »Das sind Ihre Bücher, auf Ihrem Nachttisch«, sagte Winter.
    »Nein!«
    »Wie bitte?«
    Barkner sah Winter entsetzt an, als begegnete er dem echten Grauen erst jetzt, einem noch größeren Grauen, als er bereits durchlitten hatte, und das nicht nur einmal.
    »Nein!«, rief er.
    »Was ist, Herr Barkner?«
    Barkner schleuderte förmlich einen Blick auf das Foto.
    »Das sind nicht meine Bücher! Das bin ich nicht!«
    »Wie meinen Sie das?«
    »So hat es nicht ausgesehen. Das sind nicht meine!«
    »Es sind Ihre Bücher.«
    »Nein.«
    »Doch, Herr Barkner. Zuoberst liegt Stieg Larsson. Sie haben selbst gesagt, dass Sie am Abend in dem Buch gelesen haben.«
    »Nicht so, nicht auf die Art.«
    »Wie denn? Wie meinen Sie das?«
    » So habe ich es nicht weggelegt! Ich habe meine Bücher nicht so hingelegt! Niemals! Ich bin noch nie …« Er unterbrach sich, schnitt seine eigenen Worte ab, wie man etwas mit einem schweren, scharfen Gegenstand abschneidet.
    »Sie sind noch nie was, Herr Barkner?«
    Martin Barkner antwortete nicht. Winter sah Schweißperlen auf seiner Stirn. An seinem Hals waren rote Flecken. Der Mann war kurz davor, in Ohnmacht zu fallen.
    Winter ließ noch ein Foto vor Barkner auf den Tisch fallen. Jetzt fühlte er sich wie ein Folterer. Der Mann litt furchtbare Qualen. Er starrte das Foto an, auf dem der Bücherstapel auf Madeleines Nachttisch festgehalten war. Eine so banale Kleinigkeit, ein Bücherstapel, der seinem Leser Freude, Nachdenklichkeit, Wehmut und Stimulanz schenken sollte.
    »Nein, nein!«
    Barkner sprang auf. Er sah aus, als wollte er sich gegen die nächstbeste Wand werfen, die nur einige Meter entfernt war.
    »Nehmen Sie das weg!«, schrie er. »Nehmen Sie das weg!«
    Aber er starrte immer noch auf das Foto, starrte auf beide Fotos.
    Er erkennt es wieder, dachte Winter. Er erkennt etwas. Nicht die eigenen Bücher. Die Stapel. Um die Titel geht es nicht.
    Aber er weiß, worum es geht.
    Die Art, wie sie gestapelt sind.
    Winter sah das Entsetzen in Barkners Augen und versuchte, jede Regung in seinem Gesicht zu erfassen und damit auch das, was dahinter stattfand, in dem fiebrigen Gehirn. Dann brach Barkner über dem Tisch zusammen, er würde sich nicht mehr gegen etwas Hartes werfen. Er brach über den Fotografien zusammen.
    Gerda Hoffner hatte Angst. Das Gefühl überfiel sie plötzlich, als sie die Karl Johansgatan entlangging. Sie drehte sich um. Das Gefühl war stark: Irgendwo hatte jemand gestanden und sie beobachtet, war ihren Schritten gefolgt. War ihr tatsächlich gefolgt. Was war das für ein Gefühl? Hatten sie auf der Hochschule trainiert, damit umzugehen? Nein. Sie hatten trainiert, sich in Uniform diskret zu verhalten, aber das war etwas anderes. Diskret in Uniform. Darin lag ein Widerspruch. Aber jetzt brauche ich nicht diskret zu sein, ich trage keine Uniform.
    Vor dem staatlichen Schnapsladen krakeelten wie üblich die Alkoholiker. Sie machte in ihrer Freizeit häufig einen Spaziergang nach Klippan, aber nur bei Tageslicht, was bedeutete, dass der Schnapsladen geöffnet hatte, denn die Dunkelheit brach früh herein. Ein Mann und eine Frau kamen aus der Unterführung, der Mann hatte eine Flasche Schnaps in der Hand, die die Frau ihm wegzunehmen versuchte. Beide alkoholabhängig. Sie kannte das Paar. Es hielt sich meistens mit den anderen johlenden Säufern am nördlichen Tunnelende im Park auf. Dort grölten, schrien und torkelten sie herum wie eine hoffnungslos verlorene Gesellschaft in einer öden Landschaft auf dem Weg ins Verderben. Anfang Herbst war sie dem Paar im Supermarkt am Sannaplan begegnet. Die beiden waren nüchtern gewesen und hatten ein kleines Mädchen bei sich gehabt. Das Kind war etwa fünf, sechs Jahre alt und hatte allen Kunden im Laden erzählt, dass es mit Mama und Papa hier sei. Es hatte mit dem Finger auf die beiden gezeigt. Das da ist meine Mama und das mein Papa! Es war so glücklich, so stolz gewesen.
    Urlaub von der Hölle. Vielleicht hatten sie auf ein Weihnachtsfest zusammen mit ihrer Tochter gehofft. Eine richtige Familie. Aber der Urlaub war jetzt vorbei. Es war fast Weihnachten, es war zu spät. Mama und Papa gerieten ins Schwanken, als sie auf gleicher Höhe waren, als wären sie beide gleichzeitig von einem Windstoß erfasst worden. Die Frau versuchte wieder, die Schnapsflasche zu ergattern. Der Mann stieß ihr den Ellenbogen in die Seite. Sie schrie auf. Und Gerda Hoffner wurde das Bild von dem kleinen Mädchen

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