Der letzte Wunsch
»Gut!«, rief er. »Wie du willst! Aber du wirst es nie wissen! Nie wirst du Gewissheit haben! Niemals, hörst du, Hexer?«
»Fort.«
»Wie du willst.« Der Zauberer drehte sich um, stieß mit dem Stab aufs Pflaster. »Ich kehre nach Kovir zurück, keinen Tag länger bleibe ich in diesem Nest. Komm mit, bleib nicht hier. Diese Leute wissen von nichts, sie haben dich nur töten sehen. Und du tötest ekelhaft, Geralt. Also, kommst du?«
Geralt antwortete nicht, sah ihn nicht einmal an. Er steckte das Schwert in die Scheide. Stregobor zuckte mit den Schultern und ging schnellen Schrittes weg, rhythmisch den Stab aufstoßend.
Aus der Menge kam ein Stein geflogen, schlug laut aufs Pflaster. Dann ein zweiter, knapp über Geralts Schulter hinweg. Hoch aufgerichtet reckte der Hexer beide Hände empor, machte eine schnelle Geste. Die Menge wurde laut, die Steine flogen dichter, doch das
Zeichen
lenkte sie ab – sie verfehlten das von einem unsichtbaren ovalen Panzer geschützte Ziel.
»Genug!!!«, brüllte Caldemeyn. »Schluss damit, verdammt noch mal!«
Die Menge begann zu brodeln wie eine Brandungswelle, doch es kamen keine Steine mehr. Der Hexer rührte sich nicht.
Der Schulze ging auf ihn zu.
»Ist das« – er wies mit einer ausholenden Handbewegung auf die über den kleinen Platz verstreuten reglosen Körper – »alles? So sieht das kleinere Übel aus, das du gewählt hast? Hast du erledigt, was du für notwendig hieltest?«
»Ja«, rang sich Geralt nach einer Weile ab.
»Deine Wunde ist ernst?«
»Nein.«
»Dann verschwinde.«
»Ja«, sagte der Hexer. Er blieb noch einen Augenblick stehen, wich dem Blick des Schulzen aus. Dann wandte er sich langsam um, sehr langsam.
»Geralt.«
Der Hexer schaute zurück.
»Komm nie wieder«, sagte Caldemeyn. »Nie.«
Die Stimme der Vernunft 4
Lass uns miteinander reden, Iola.
Ich brauche dieses Gespräch. Es heißt, Schweigen ist Gold. Kann sein. Ich weiß nicht, ob es wirklich so viel wert ist. Jedenfalls hat es seinen Preis. Man muss dafür bezahlen.
Du hast es leichter, ja, widersprich nicht. Du schweigst ja freiwillig, du hast aus dem Schweigen ein Opfer für deine Göttin gemacht. Ich glaube nicht an Melitele, ich glaube auch nicht an die Existenz anderer Götter, aber ich weiß deine Wahl zu schätzen, dein Opfer, ich schätze und achte, woran du glaubst. Denn dein Glaube und die Hingabe, der Preis des Schweigens, den du zahlst, machen aus dir ein besseres, wertvolleres Wesen. Zumindest vermögen sie das aus dir zu machen. Mein Unglaube aber vermag nichts. Er ist machtlos.
Du fragst, woran ich dann glaube?
Ich glaube an das Schwert.
Wie du siehst, trage ich zwei. Jeder Hexer hat zwei Schwerter. Böswillige Leute sagen, das silberne sei für die Ungeheuer und das eiserne für Menschen. Das ist natürlich nicht wahr. Es gibt Ungeheuer, die man nur mit einer Silberklinge verletzen kann, aber es gibt auch welche, für die Eisen tödlich ist. Nein, Iola, nicht jedes Eisen, sondern allein solches, das von einem Meteoriten stammt. Du fragst, was ein Meteorit ist? Das ist eine Sternschnuppe. Du hast sicherlich schon Sternschnuppen gesehen, kurze, helle Striche am Nachthimmel. Dabei hast du sicherlich einen Wunsch ausgesprochen, vielleicht war es für dich noch ein Grund, an Götter zu glauben. Für mich ist ein Meteorit nur ein Klumpen Metall, das herabfällt und sich in die Erde gräbt. Metall, aus dem man ein Schwert machen kann.
Ja doch, natürlich kannst du mein Schwert in die Hand nehmen. Siehst du, wie leicht es ist? Sogar du kannst es ohne Mühe heben. Nein! Fass die Schneide nicht an, du verletzt dich. Sie ist schärfer als eine Rasierklinge. Sie muss so sein.
O ja, ich übe oft. In jedem freien Augenblick. Ich darf nicht aus der Übung kommen. Hierher, in den entlegensten Winkel des Tempelparks, bin ich auch gekommen, um mir Bewegung zu verschaffen, um aus den Muskeln diese scheußliche, schädliche Erstarrung zu vertreiben, diese in mir kreisende Kälte. Und hier hast du mich gefunden. Komisch, vor ein paar Tagen habe ich dich zu finden versucht. Ich habe nach dir Ausschau gehalten. Ich wollte ...
Ich brauche dieses Gespräch, Iola. Lass uns uns hinsetzen, eine Weile reden.
Du kennst mich ja überhaupt nicht, Iola.
Ich heiße Geralt. Geralt von ... Nein. Nur Geralt. Geralt von nirgendwo. Ich bin Hexer.
Mein Haus ist Kaer Morhen, die Heimstatt der Hexer. Dort stamme ich her. Es gibt ... Es gab so eine Festung. Viel ist nicht von ihr
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