Der letzte Wunsch
oder ob ich dich einfach aufhängen lasse. Wenn du mir ins Wort fällst, beeinflusst du meine Entscheidung nachhaltig!«
Geralt, noch immer vom Zittern des Medaillons beunruhigt, sah sich im Saal um und traf plötzlich auf den Blick aus Pavettas Augen, smaragdgrün wie die ihrer Mutter. Die Prinzessin verbarg sie nicht mehr unter den langen Wimpern – sie ließ den Blick zwischen Mäussack und dem Hexer schweifen, ohne die anderen zu beachten. Mäussack wand sich, niedergebeugt, und murmelte etwas.
Gokgokling, der noch immer stand, krächzte bedeutungsvoll.
»Rede.« Die Königin nickte ihm zu. »Aber zur Sache und halbwegs kurz.«
»Zu Befehl, Königin. Hohe Calanthe und ihr Ritter! Fürwahr, eine sonderbare Forderung hat Igel von Erlenwald an König Roegner gerichtet, eine sonderbare Belohnung hat er verlangt, als der König erklärte, ihm jeden Wunsch erfüllen zu wollen. Doch wir wollen nicht so tun, als hätten wir nicht schon von solchen Forderungen gehört, vom uralten Recht der Überraschung. Von dem Preis, den derjenige fordern kann, der jemandem in scheinbar hoffnungsloser Lage das Leben rettet, der einen scheinbar aussichtslosen Wunsch erfüllt. ›Du sollst mir geben, was dir daheim zuerst entgegenkommt.‹ Ihr wisst, das kann ein Hund sein, ein Hellebardenträger am Tor, sogar die Schwiegermutter, die darauf brennt, den heimkehrenden Schwiegersohn anzuschnauzen. Oder: ›Du sollst mir geben, was du daheim vorfindest und nicht erwartet hast.‹ Nach langer Reise, ihr edlen Herren, und unerwarteter Rückkehr ist das für gewöhnlich ein Buhle im Bett der Frau. Doch mitunter ist es auch ein Kind. Ein Kind, von der Vorsehung auserwählt.«
»Fass dich kürzer, Gokgokling.« Calanthe runzelte die Brauen.
»Zu Befehl. Ihr Herren! Habt ihr nicht von Kindern gehört, die von der Vorsehung auserwählt sind? Ist nicht der legendäre Held Zatret Voruta als Kind zu den Zwergen gegeben worden, weil er der Erste war, den der Vater bei der Rückkehr aus der Festung traf? Und der Verrückte Deï, der von einem Reisenden verlangte, er solle ihm geben, was er zu Hause zurückgelassen hatte, ohne davon zu wissen? Dieses Überraschungskind war der berühmte Supree, der später den Verrückten Deï von dem Fluch befreite, der auf ihm lastete. Denkt auch an Zivelena, die mit Hilfe des Gnoms Rumpelstilt Königin von Metinna wurde und ihm dafür ihr erstes Kind versprach. Zivelena hielt ihr Versprechen nicht, als Rumpelstilt seine Belohnung holen kam, und zwang ihn mit Zauberei zur Flucht. Kurze Zeit darauf starb sie mit ihrem Kind an einer Seuche. Man spielt nicht ungestraft mit der Vorsehung!«
»Mach mir keine Angst, Gokgokling.« Calanthe verzog das Gesicht. »Es wird Mitternacht, die Zeit der Ängste. Weißt du noch mehr Legenden aus deiner zweifellos schweren Kindheit? Wenn nicht, dann setz dich.«
»Ich bitte um die Gnade« – der Baron zwirbelte den langen Schnurrbart –, »noch stehen bleiben zu dürfen. Ich möchte alle an noch eine Legende erinnern. Es ist eine alte, vergessene Legende, wir haben sie wohl alle in unserer schweren Kindheit gehört. In dieser Legende haben Könige ihre Versprechen gehalten. Uns arme Vasallen aber verbindet mit den Königen nur das königliche Wort: Auf ihm beruhen Verträge, Bündnisse, unsere Privilegien, unsere Lehen. Und? Sollen wir an alledem zweifeln? An der Unverbrüchlichkeit des königlichen Wortes zweifeln? Abwarten, bis es so viel bedeutet wie der Schnee vom vorigen Jahr? Fürwahr, wenn es so sein soll, dann erwartet uns nach schwerer Kindheit ein schweres Alter!«
»Auf wessen Seite stehst du, Gokgokling?«, donnerte Rainfarn von Attre.
»Still! Er soll sprechen!«
»Dieser bescheuerte Gackerer beleidigt die Majestät!«
»Baron von Tigg hat recht!«
»Still«, sagte Calanthe und stand plötzlich auf. »Lasst ihn ausreden.«
»Dankeschön.« Gokgokling verneigte sich. »Doch ich bin schon fertig.«
Es trat Stille ein, die nach dem Aufruhr, den die Worte des Barons bisher ausgelöst hatten, seltsam wirkte. Calanthe stand noch immer. Geralt glaubte nicht, dass außer ihm jemand das leichte Zittern der Hand bemerkte, mit der sie sich über die Stirn strich.
»Meine Herren«, sagte sie endlich, »euch gebührt eine Erklärung. Ja, dieser ... Igel ... spricht die Wahrheit. Roegner hat ihm wirklich das gelobt, was er nicht erwartete. Anscheinend war unser unvergesslicher König in Frauendingen ein rechter Tropf und konnte nicht bis neun zählen. Und mir hat er
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