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Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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die Wahrheit meiner Worte bestätigt hat? Nach dem, was du eben erst selbst gesagt hast?«
    »Ja, denn du hast uns nicht alles gesagt. Roegner kannte die Macht, die dem Recht der Überraschung innewohnt, und das Gewicht des Schwurs, den er leistete. Und er legte ihn ab, weil er wusste, dass die Macht, die solche Schwüre beschützt, Recht und Sitte wahrt. Die Macht, die darüber wacht, dass sie nur dann erfüllt werden, wenn die Kraft der Vorsehung sie bestätigt. Ich behaupte, Igel, dass du vorerst keinerlei Anspruch auf die Prinzessin hast. Du erwirbst ihn erst, wenn . . .«
    »Wenn was?«
    »Wenn die Prinzessin selbst bereit ist, mit dir zu gehen. So legt es das Recht der Überraschung fest. Das Einverständnis der Kinder, nicht der Eltern bestätigt den Schwur, beweist, dass das Kind wirklich im Schatten der Vorsehung geboren wurde. Darum bist du nach fünfzehn Jahren zurückgekehrt, Igel. Denn an diese Bedingung hat König Roegner den Schwur geknüpft.«
    »Wer bist du?«
    »Ich bin Geralt von Riva.«
    »Wer bist du, Geralt von Riva, dass du in Fragen von Recht und Sitte urteilen willst?«
    »Er kennt dieses Recht besser als sonst einer«, sagte Mäussack heiser, »denn auf ihn wurde es einst angewendet. Er ist einst aus dem Elternhaus fortgenommen worden, denn er war es, den sein Vater bei der Rückkehr nicht zu Hause erwartet hatte. Er war zu etwas anderem vorherbestimmt. Und durch die Kraft der Vorsehung ist er der geworden, der er ist.«
    »Und wer ist er?«
    »Ein Hexer.«
    In der eintretenden Stille ertönte vom Wachturm her die Glocke und verkündete mit trockenem Klang Mitternacht. Alle zuckten zusammen und wandten die Köpfe. Mäussack, der Geralt anschaute, machte eine seltsame, überraschte Miene. Doch am auffälligsten zuckte Igel zusammen, er regte sich unruhig. Die Hände in den eisernen Handschuhen sanken ihm kraftlos herab, der stachlige Helm schwankte unsicher.
    Die seltsame, unbekannte Kraft, die den Saal wie grauer Nebel erfüllte, verdichtete sich schlagartig.
    »Das ist wahr«, sagte Calanthe. »Der hier anwesende Geralt von Riva ist ein Hexer. Sein Beruf verdient Achtung und Anerkennung. Er hat sich der Aufgabe gewidmet, uns vor den Ungeheuern und Alpen zu schützen, die die Nacht gebiert, die böse, den Menschen schädliche Kräfte aussenden. Er tötet alle Schreckgestalten und Monster, die uns in Wäldern und Schluchten auflauern. Auch jene, die die Stirn haben, in unsere Wohnstätten zu kommen.«
    Igel schwieg.
    »Und so«, fuhr die Königin fort, die beringte Hand erhoben, »mag jetzt dem Recht Genüge getan werden, mag sich der Schwur erfüllen, dessen Erfüllung du forderst, Igel von Erlenwald. Es hat Mitternacht geschlagen. Dein Gelübde bindet dich nicht mehr. Öffne das Visier. Ehe meine Tochter ihren Willen kundtut, ehe sie über ihre Bestimmung entscheidet, soll sie dein Gesicht sehen. Wir alle wollen dein Gesicht sehen.«
    Igel von Erlenwald hob langsam die gepanzerte Hand, ließ die Bänder schnappen, fasste den Helm an dem eisernen Horn und nahm ihn ab, ließ ihn krachend zu Boden fallen. Jemand schrie auf, jemand fluchte, jemand zog pfeifend die Luft ein. Auf dem Gesicht der Königin erschien ein böses, sehr böses Lächeln. Das Lächeln grausamen Triumphs.
    Über dem breiten, gebogenen Blech des Brustpanzers schauten zwei hervorstehende schwarze Knöpfe von Augen sie an, zu beiden Seiten des von rötlichem Fell bedeckten länglichen, stumpf endenden Rüssels, der mit zitternden Schnurrhaaren besetzt und voller scharfer, weißer Hauer war. Kopf und Hals der mitten im Saal stehenden Gestalt waren mit kurzen, grauen, beweglichen Stacheln übersät.
    »So sehe ich aus«, sagte das Wesen, »was du genau wusstest, Calanthe. Als Roegner von dem Abenteuer erzählte, das ihm in Erlenwald widerfahren war, muss er beschrieben haben, wem er das Leben verdankte. Dem er trotz seines Aussehens jenen Schwur geschworen hat. Gut hast du dich auf meine Ankunft vorbereitet, Königin. Deine hochmütige und abscheuliche Weigerung, Wort zu halten, haben deine eigenen Vasallen zurückgewiesen. Als der Versuch, andere Attentäter auf mich zu hetzen, misslang, hattest du noch einen Hexer als Mörder in petto, der zu deiner Rechten sitzt, stets zur Hand. Und zum Schluss ein gemeiner, niedriger Betrug. Du wolltest mich demütigen, Calanthe. Wisse, dass du dich selbst gedemütigt hast.«
    »Genug.« Calanthe stand auf, stemmte die geballte Faust in die Hüfte. »Machen wir Schluss damit. Pavetta! Du

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