Der letzte Wunsch
siehst, wer oder besser was vor dir steht und Anspruch auf dich erhebt. Getreu dem Recht der Überraschung und uraltem Brauch zufolge liegt die Entscheidung bei dir. Antworte. Es genügt ein Wort von dir. Sage ›Ja‹, und du wirst Eigentum, Beute dieses Ungeheuers. Sage ›Nein‹, und du wirst ihn nie mehr zu Gesicht bekommen.«
Die im Saale zusammengeballte
Kraft
presste wie ein eiserner Reif Geralts Schläfen zusammen, rauschte in den Ohren, ließ die Nackenhaare sich sträuben. Der Hexer betrachtete die weißen Fingerknöchel Mäussacks, die um die Tischkante gekrampft waren. Das schmale Rinnsal von Schweiß, das der Königin übers Gesicht lief. Die Brotkrümel auf dem Tisch, die sich wie Würmer bewegten und Runen formten, die zerfielen und sich wieder zu einem deutlichen Wort sammelten: VORSICHT!
»Pavetta!«, wiederholte Calanthe. »Antworte. Willst du mit diesem Geschöpf gehen?«
Pavetta hob den Kopf. »Ja.«
Die den Saal erfüllende
Kraft
begleitete die Antwort mit einem dumpfen Dröhnen in den Bögen des Gewölbes. Niemand, ganz und gar niemand machte den geringsten Laut.
Calanthe ließ sich langsam, sehr langsam auf den Thron sinken. Ihr Gesicht war völlig ausdruckslos.
»Ihr habt es alle gehört«, ertönte in der Stille die ruhige Stimme Igels. »Auch du, Calanthe. Und du, Hexer, listiger gedungener Mörder. Meine Rechte sind bewiesen worden. Wahrheit und Vorsehung haben über Lüge und Winkelzüge gesiegt. Was bleibt euch, edle Königin, verkleideter Hexer? Der blanke Stahl?«
Niemand gab Antwort.
»Am liebsten«, fuhr Igel mit zuckenden Schnurrhaaren und hin und her schlagendem Rüssel fort, »würde ich diesen Ort zusammen mit Pavetta sofort verlassen, doch ich werde mir ein gewisses Vergnügen nicht versagen. Du, Calanthe, wirst deine Tochter hierher führen, wo ich stehe, und ihre weiße Hand in meine Hand legen.«
Calanthe wandte den Kopf langsam dem Hexer zu. In ihren Augen lag ein Befehl. Geralt rührte sich nicht, er spürte, wie sich die sich in der Luft sammelnde
Kraft
auf ihn konzentrierte. Nur auf ihn. Er wusste schon Bescheid. Die Augen der Königin verengten sich, ihre Lippen zitterten ...
»Was?! Was soll das?«, schrie plötzlich Crach an Craite und sprang auf. »Ihre weiße Hand? In seine Hand? Die Prinzessin mit diesem stachligen Stinktier? Mit diesem ... Schweinerüssel ?«
»Und ich wollte mit ihm wie mit einem Ritter kämpfen!«, pflichtete ihm Rainfarn bei. »Mit dieser Schreckgestalt, diesem Vieh! Werft ihn den Hunden vor! Den Hunden!«
»Wache!«, donnerte Calanthe.
Dann ging alles ganz schnell. Crach an Craite packte ein Messer vom Tisch, warf krachend den Stuhl um. Getreu dem Befehl Eist Tuirseachs hieb ihm Draig Bon-Dhu ohne zu überlegen mit ganzer Kraft die Pfeifen des Dudelsacks ins Genick. Crach schlug auf den Tisch, zwischen einen Stör in grauer Soße und die krummen Rippen, die von einem gebratenen Wildschwein übrig geblieben waren.
Rainfarn stürzte auf Igel zu und ließ ein aus dem Ärmel gezogenes Stilett aufblitzen. Gokgokling sprang hoch und stieß ihm mit einem Fußtritt den Schemel genau vor die Füße. Rainfarn setzte geschickt über das Hindernis, doch die geringe Verzögerung hatte genügt – Igel verwirrte ihn mit einer kurzen Finte und ließ ihn mit einem mächtigen Schlag der gepanzerten Faust in die Knie sinken. Gokgokling sprang hinzu, um Rainfarn das Stilett aus der Hand zu reißen, doch ihn hielt Prinz Windhalm zurück, der sich ihm wie ein Bluthund ans Bein hängte.
Vom Eingang her kam die Wache gelaufen, mit Hellebarden und Gläfen bewaffnet. Calanthe, drohend aufgerichtet, wies mit heftiger, gebieterischer Geste auf Igel. Pavetta begann zu schreien, Eist Tuirseach zu fluchen. Alle sprangen auf, ohne recht zu wissen, was sie tun sollten.
»Tötet ihn!«, schrie die Königin.
Zornig fauchend und die Hauer bleckend, wandte sich Igel den angreifenden Wächtern zu. Er war ohne Waffen, doch in stachligen Stahl gehüllt, von dem die Spitzen der Gläfen klirrend abprallten. Der Aufprall warf ihn jedoch nach hinten, gerade auf den aufstehenden Rainfarn, der ihn fesselte, indem er ihn an den Beinen packte. Igel brüllte auf und wehrte mit den eisernen Armschienen die Schwerthiebe ab, die auf seinen Kopf herniederprasselten. Rainfarn stieß mit dem Stilett nach ihm, doch die Klinge glitt an den Platten des Brustpanzers ab. Die Wachsoldaten drückten Igel mit gekreuzten Lanzenschäften gegen den kunstvoll behauenen Kamin.
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