Der Leuchtturm von Alexandria
wurde, hielten er und seine Freunde es so lange wie irgend möglich geheim. Sie versuchten, mit Adernpressen und Talismanen der Krankheit Herr zu werden, und schickten nur die fast hoffnungslosen Fälle ins Hospital. Wenn die Patienten schließlich in Novidunum ankamen, konnten sie sich glücklich schätzen, wenn ihnen nur ein Arm oder ein Bein amputiert wurde. Wenn sie weniger glücklich waren, dann starben sie, und zwar meistens an Krankheiten oder Verletzungen, von denen sie sich ohne weiteres hätten erholen können, wenn sie nur richtig behandelt worden wären.
Außerdem gab es keine gelernten und bezahlten Pfleger.
Statt dessen halfen die in der Festung stationierten Soldaten der Reihe nach im Hospital aus. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es einen sichereren Weg gibt, eine ernste Krankheit in der gesamten skythischen Armee zu verbreiten. Es bedeutete außerdem, daß das pflegerische Niveau sehr niedrig war, da niemand Interesse daran hatte, für eine einwöchige Verpflichtung irgendwelche Dinge zu lernen. Auch für Arzneimittel hatte das Hospital kein Geld. Xanthos und Diokles zogen ein paar von den am häufigsten vorkommenden Heilkräutern im Hospitalgarten – Nieswurz natürlich, bitteren Wermut, gefleckten Schierling, Fingerhut und dergleichen – doch abgesehen davon, gab es keinerlei Arzneimittel. Die beiden hatten noch nie etwas von Opium gehört, gar nicht zu reden von den exotischeren indischen Kräutern, deren Anwendung mir in Alexandria selbstverständlich gewesen war. Arbetio mußte seine Amputationen an Patienten ausführen, die bei vollem Bewußtsein waren; seine medizinisch ausgebildeten Vorgesetzten wußten noch nicht einmal, daß Alraun ein recht gutes Betäubungsmittel ist. Ich arbeitete mein Exemplar des Dioskurides durch und notierte mir eine Anzahl von Ersatzmitteln für die mir vertrauten Kräuter: Efeusaft statt Zedernöl als Antiseptikum, Nachtschatten statt Honigklee gegen Ohrenreißen; doch außer Nieswurz konnte ich keinerlei Ersatzmittel für Opium entdekken. Leider gab es in Novidunum keinerlei Möglichkeit, Opium in ausreichender Menge aus Ägypten kommen zu lassen.
Ein paar Wochen nach meiner Ankunft in Novidunum setzte ich mich eines Abends an den Küchentisch in meinem neuen Haus und dachte darüber nach, was ich tun sollte. Ich hatte an jenem Tag ein paar fruchtlose, lautstark geführte Auseinandersetzungen mit Xanthos und Diokles gehabt. Ich hatte schon wieder einen Mann sterben sehen, der am Leben hätte bleiben können, und ich war wütend. Sebastianus hatte mir im Vertrauen auf Athanarics Empfehlung und meine alexandrinische Ausbildung die Verantwortung für das Hospital übertragen. Doch Valerius weigerte sich, mich bei den von mir vorgeschlagenen Veränderungen zu unterstützen. Ich konnte Xanthos noch so oft sagen, einen Patienten nicht zur Ader zu lassen, er grinste nur hämisch und ließ den Mann dann hinter meinem Rücken zur Ader. Wenn ich mich darüber beschwerte, brummte Valerius etwas vor sich hin, rutschte nervös auf seiner Bank hin und her und sagte, er werde darüber nachdenken. Er war mißtrauisch gegenüber allen Veränderungen, und Xanthos war ein alter Freund von ihm. Wenn ich überhaupt etwas erreichen wollte, mußte ich herausfinden, ob ich wirklich die volle Unterstützung von Sebastianus genoß und eine eindeutige Erklärung von ihm erwirken, daß ich die alleinige Verantwortung trug und das gesamte Hospital so reorganisieren konnte, wie ich es für richtig hielt. Ich mußte an Sebastianus schreiben und eine Liste konkreter Anregungen beifügen, verbunden mit der dringenden Bitte, mir bei ihrer Durchführung zu helfen. Wenn er half, wunderbar; wenn nicht – nun, dann mußte ich weitersehen. Ich konnte immer noch nach Konstantinopel gehen. Am vordringlichsten war die Einführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Hygiene. Wir brauchten dringend sauberes Wasser für das Aufwischen der Fußböden und das Waschen des Bettzeugs sowie Reinigungslösungen und abgekochtes Wasser für Verletzungen. Dann mußte das Hospital mindestens einmal täglich gesäubert werden. Wenn ich Xanthos nicht dafür gewinnen konnte, mußte ich das bisher angewandte System für die Hilfspfleger des Hospitals ändern. Doch dies hatte ich sowieso vor. Bei dem Versuch, Leute zu rekrutieren, war es meiner Ansicht nach am besten, auf frühere Patienten zurückzugreifen – auf die Krüppel und Amputierten. Diese Männer in den Hospitälern zu beschäftigen würde den Staat
Weitere Kostenlose Bücher