Der Leuchtturm von Alexandria
hatte, der meinen Vater hätte beschämen können), und sie waren fanatisch fromm. Dabei hatten sie jedoch allesamt einen gesunden und überraschend derben Sinn für Humor und traten nicht im mindesten zurückhaltend oder damenhaft auf. »He, Chariton!« meinte Amundora, als ich ihr ein Mittel gegen ihre Hühneraugen gab. »Ich dachte immer, ein Eunuch sei zu nichts nutze, dabei hast du schon mehr für mich getan, als das wochenlange Beten der Mönche vermocht hat. Da sieht man mal wieder: Verstand geht über Eier, oder? Womit ich nicht sagen will, diese Mönche hätten auch nur eins von beiden, die armen Kerle.« Und sie gluckste wie immer, wenn sie eine derbe Bemerkung über die Mönche machte. Das tat sie oft und gerne, vielleicht gerade deshalb, weil sie die Mönche als ihre Brüder betrachtete, schwatzhafte und hochmütige jüngere Brüder, die jemanden brauchten, der sie in ihre Schranken verwies. Die Nonnen kümmerten sich überall in der Stadt um die Armen; sie webten Kleidungsstücke und verkauften diese, um für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, und sie arbeiteten für die Kirche. Sie waren stolz auf ihre Unabhängigkeit und verübelten den Mönchen deren höhere gesellschaftliche Stellung. Ich war kaum eingezogen, als sie mir bereits darlegten, daß sie genausoviel von Krankenpflege verstünden wie die Mönche im Hospital, und mich baten, in diesem Sinne mit seiner Heiligkeit zu sprechen.
»Davon bin ich überzeugt«, meinte Athanasios, als ich ihm die Sache erzählte. »Aber wenn ich sowohl Nonnen als auch Mönche in die Hospitäler schicken würde, würden die Heiden darüber tuscheln und klatschen. Vielleicht sollte ich noch ein Hospital gründen und den Nonnen die Leitung anvertrauen.«
Von Zeit zu Zeit hustete er noch, und er ermüdete schneller, als er eigentlich sollte, obwohl er inzwischen schon seit über einem Monat wieder gesund war. Aber er hatte sich nie richtig geschont. Er hatte inzwischen die Leitung der Kirche wieder ganz übernommen: Er kümmerte sich um die Fälle, die vor das geistliche Gericht gebracht wurden, sorgte für die Verteilung der kirchlichen Gelder, ernannte Bischöfe und Geistliche, predigte und organisierte und schrieb lange Briefe an die Bischöfe der nizäischen Glaubensrichtung im ganzen Ostreich (die kaiserlichen Beamten waren äußerst neugierig, wem er schrieb und was er schrieb, und mir wurden mehrfach Bestechungsgelder angeboten, falls ich derartige Informationen beschaffen könnte. Ich behauptete, er gewähre mir keinen Einblick in seine Korrespondenz, und bemühte mich daraufhin, auch tatsächlich nichts von ihr mitzubekommen). Er arbeitete wie verrückt, stand früh am Morgen auf und stürzte sich wie ein Wirbelwind auf die Angelegenheiten der Kirche. Er führte nach wie vor ein äußerst asketisches Leben, aß ähnlich einfach wie meine Nonnen und lag stundenlang auf dem Fußboden der Kirche und betete. Dies gefiel mir überhaupt nicht, und ich sagte es ihm auch in aller Deutlichkeit. »Du tust alles dafür, wieder krank zu werden. Wenn du schon so hart arbeiten mußt, behandle wenigstens deinen armen Körper etwas freundlicher. Nimm zwei oder drei Mahlzeiten täglich zu dir, nicht nur eine, und trink ein bißchen Wein. Wasser ist schlecht für dich.«
Er schüttelte den Kopf und lächelte. »Es gibt einfach zuviel zu tun. Ich muß die Kirche so stark wie möglich machen, damit sie nicht auseinander bricht, wenn ich einmal nicht mehr bin.«
»Ich habe nicht über die kirchliche Arbeit gesprochen, sondern über deine asketische Lebensweise.«
»Chariton, mein Lieber« – es befand sich ein Schreiber im Zimmer, so daß er meinen offiziellen Namen benutzte –, »auch du arbeitest zu schwer. Ein zarter, in einem vornehmen Elternhaus aufgewachsener junger Mann wie du, der Patienten mit Durchfall und Darmgrippe behandelt, von denen die meisten dem gemeinen Volk angehören, die ihn noch nicht einmal bezahlen können! Warum schonst du dich nicht etwas, so wie jene hervorragenden Ärzte oben am Tempel: ein Höflichkeitsbesuch bei ein oder zwei reichen Patienten täglich, ein wenig Oribasios lesen und die Sternbilder bewundern?«
»Was willst du damit sagen?« fragte ich, obwohl ich seinen beißenden Sarkasmus inzwischen kannte.
»Du bist ein Arzt aus Liebe, nicht für Geld oder Ruhm. Und ich bin ein Asket aus Liebe. Was ich sonst noch tue, tue ich der Kirche zuliebe. Dies aber tue ich für Gott und für mich selbst. Wenn es mir bestimmt ist, bald zu sterben,
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