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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Bradshaw
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laß mich Gott um so eifriger suchen, selbst wenn es meiner Gesundheit schadet. Du bist wie ein Arzt, der kurz vor einem großen Rennen zu einem Athleten kommt und ihm rät, er solle vorsichtig sein und sich beim Training nicht zu sehr anstrengen. ›Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott.‹ Glaubst du denn, ich bin so furchtbar erpicht darauf, mir dauernd über die Perser und den ägyptischen Heerführer Gedanken zu machen, über einen Streit zwischen den Mönchen von Nitria und dem Bischof von Karanis, wo die Mönche ihre Strohmatten verkaufen dürfen? Ich nehme mir nicht viel Zeit für Gebete; aber laß mich auf meine Art beten.«
    »Warum mußt du denn unbedingt dich selbst mißhandeln, um Gott zu lieben? Du gehörst doch nicht zu den Leuten, die glauben, daß das Fleisch des Teufels ist. Ich lese gerade dein Buch: Du läßt dich darin stundenlang darüber aus, daß die materielle Welt von Gott geschaffen ist und daß der Körper des Menschen durch die Fleischwerdung geheiligt wird. Weshalb mußt du dich also auf diese Weise selbst bestrafen?«
    Athanasios seufzte und blickte sich im Zimmer um. Das Schreibpult quoll von Büchern und Briefen über; der Privatsekretär wartete mit seiner Schreibtafel und dem Griffel; ein goldgesäumter Umhang für die Predigt war über die Ruhebank geworfen worden. »Unser Leben ist ein solches Wirrwarr«, erwiderte er und tat es mit der Bewegung seiner Hand ab wie ein Mann, der eine Schreibtafel abwischt. »Wir benötigen Einfachheit und Ruhe, doch wir erfinden unaufhörlich Bedürfnisse für nichtige Dinge. Und diese häufen sich um uns auf und lenken uns von der Wahrheit ab. Der Eremit Antonius sagte einst zu mir, ein Mönch ähnele einem Fisch: Beraube ihn seines Elements, und er stirbt. Schweigen ist sein Element. In der Stille kann man diese unechte Welt für den Himmel eintauschen.«
    Ich verstand ihn nicht, aber die Sehnsucht, die in seiner Stimme nachklang, wenn er vom mönchischen Leben sprach, war nicht mißzuverstehen, und so blieb mir nichts anderes übrig, als ihn in Ruhe zu lassen. Statt dessen fragte ich Petrus, ob er dem Erzbischof nicht ein bißchen mehr von den Kirchengeschäften abnehmen könne.
    »Glaubst du denn, ich versuche das nicht?« fragte er. »Aber niemand kann Thanassi sagen, was er tun soll, vor allem nicht, wenn es ihm zugute kommen soll.«
    »Thanassi?« fragte ich belustigt. Ich hatte diesen Spitznamen noch nie gehört.
    Petrus lächelte ein wenig einfältig. Ich lernte den alten Mann allmählich besser kennen, und ich mochte ihn: Er war eher ein gewissenhafter als ein feuriger Gläubiger, und er war durch und durch gutmütig, eifrig darauf bedacht, jedermann zu helfen. »Wir pflegten ihn so zu nennen, als er noch Dekan war. Niemand konnte ihm damals Vernunft beibringen, genausowenig wie heute. Weißt du, daß ich ihm einmal eins über den Schädel geben und ihn aus der Kirche herauszerren mußte, um ihn vor den Soldaten zu retten? Auf der einen Seite stand der Heerführer Syrianus mit seinen Männern, bereit, auf den Altar loszumarschieren, um ihn gefangenzunehmen und jeden niederzuschlagen, der sich ihnen in den Weg stellte, und auf der anderen Seite stand Thanassi oben auf dem bischöflichen Thronsessel und brüllte, er werde die Kirche nicht verlassen, bis alle anderen sicher hinausgelangt seien. Ich versetzte ihm einen Schlag mit einer der großen Altarkerzen, und wir schleiften ihn durch die Hintertür hinaus. Als er zu sich kam, dachte er, Gott müsse ein Wunder bewirkt und ihm das Entkommen ermöglicht haben. Und wir ließen ihn in diesem Glauben. Manchmal kann man eben nicht vernünftig mit ihm reden. Auf dich hört er jedenfalls mehr als auf die meisten Menschen.« Er kicherte stillvergnügt in sich hinein, dann wurde er sehr ernst.
    »Wird er sich wieder erholen, auch wenn er sich nicht schont?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nicht sehr viel mehr, als er sich bereits erholt hat. In dem Zustand, in dem er sich im Augenblick befindet, kann ihn die erstbeste Krankheit umbringen.«
    Petrus biß sich auf die Lippen. »Nun, Theophilos und ich werden tun, was wir können, und wir verlassen uns auf dich, Doktor.«
    Das war nicht sehr beruhigend. Noch weniger tröstlich war der Brief, den ich in bezug auf den Erzbischof von Thorion erhielt. Ich hatte ihm geschrieben, was passiert war – einiges davon zumindest –, und sein Antwortbrief war der letzte von ihm, der mich vor dem Winter erreichte. »Ich habe mit großer Verwunderung

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