Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
eilt.«
Sie lächelte. »Davon gehen sie aus, wenn der Auftrag von dir kommt.«
Seit dem Besuch von Erica und Patrik verspürte Annie eine gewisse Unruhe. Sollte sie doch einen Arzt herbitten? Sam hatte noch keinen Ton von sich gegeben, seit sie auf der Insel waren. Andererseits hatte sie das Gefühl, dass sie instinktiv richtig handelte. Er brauchte nichts als Zeit. Damit seine Seele heilte. Der Arzt hingegen würde sich nur mit seinem Körper beschäftigen.
Sie selbst konnte sich kaum überwinden, an diese Nacht zu denken. Ihr Gehirn schien sich abzuschalten, wenn die Erinnerungen an Angst und Entsetzen sie überkamen. Wie sollte sie dann von Sam verlangen, dass seine kleine Seele damit fertig wurde? Sam und sie hatten denselben Horror erlebt. Lebten sie auch in derselben Angst, das Ganze könnte sie selbst hier auf der Insel einholen? Beruhigend sprach sie auf ihn ein und erklärte ihm, dass sie jetzt in Sicherheit waren. Hier konnten die Bösen sie nicht finden. Sie wusste allerdings nicht, ob ihr Tonfall ihren Worten entsprach. Denn sie glaubte selbst nicht daran.
Wenn Matte doch nur … Beim Gedanken an ihn begann ihre Hand zu zittern. Er hätte sie beschützen können. Sie hatte ihm an diesem Abend und in dieser Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, nicht alles erzählen wollen. Einiges hatte sie ihm erzählt, genug, damit er verstand, dass sie nicht mehr dieselbe war. Natürlich hätte sie ihm auch den Rest erzählen sollen. Hätten sie mehr Zeit gehabt, wäre es ihr möglich gewesen, sich ihm anzuvertrauen.
Sie schluchzte auf und holte tief Luft, um sich wieder zusammenzureißen. Sam sollte nichts von ihrer Verzweiflung merken. Er brauchte Geborgenheit. Nur so konnte die Erinnerung an die Schüsse, der Anblick des Blutes und seines Vaters aus seinem Gedächtnis gelöscht werden. Es war ihre Aufgabe, alles wieder in Ordnung zu bringen. Matte konnte ihr nicht helfen.
Es dauerte eine Weile, bis sie alle notwendigen Fingerabdrücke zusammenhatten. Zwei fehlten noch. Die Rettungssanitäter waren unterwegs und würden nicht so bald zurückkehren. Paula hatte ohnehin das Gefühl, dass es Zeitverschwendung war, all diese Fingerabdrücke zu machen. Irgendetwas sagte ihr, dass es wichtiger war, so schnell wie möglich herauszufinden, ob Mats Spuren auf der Tüte hinterlassen hatte.
Vorsichtig klopfte Paula an die Tür.
»Herein.« Torbjörn Ruud blickte auf.
»Guten Tag, ich bin Paula Morales von der Polizei Tanum. Wir sind uns schon einige Male begegnet.« Plötzlich war sie verlegen. Sie wusste schließlich, wie die Dinge normalerweise gehandhabt wurden. Ihr jetziges Vorhaben widersprach allen Normen und Vorschriften. Eigentlich nicht ihre Art. An Regeln musste man sich halten, aber manchmal war eine gewisse Flexibilität vonnöten, und dies war vermutlich so ein Moment.
»Ich erinnere mich.« Torbjörn zeigte auf einen Stuhl. »Wie läuft es denn bei Ihnen? Haben Sie schon etwas von Pedersen gehört?«
»Seinen Bericht bekommen wir erst am Mittwoch. Ansonsten hatten wir nicht viele Anhaltspunkte und konnten leider nicht die erhofften Fortschritte machen …«
Sie verstummte, holte tief Luft und überlegte, wie sie ihr Anliegen formulieren sollte.
»Aber heute ist etwas passiert, und wir wissen noch nicht, ob es mit dem Mord zusammenhängt«, sagte sie schließlich und legte die Papiertüte auf den Tisch.
»Was ist das?« Torbjörn streckte die Hand aus.
»Kokain«, sagte Paula.
»Wo habt ihr es gefunden?«
Paula fasste kurz zusammen, was im Laufe des Tages passiert war und was die Jungen erzählt hatten.
»Normalerweise legt man mir nicht einfach eine Tüte Kokain auf den Tisch.« Torbjörn sah Paula an.
»Ich weiß.« Sie wurde rot. »Aber Sie wissen doch, wie das ist. Wenn wir es ans SKL schicken, müssen wir Ewigkeiten auf das Ergebnis warten. Ich habe das Gefühl, dass diese Sache wichtig ist, und dachte, wir könnten das in diesem Fall etwas flexibler handhaben. Wenn Sie mir bei einer Kleinigkeit behilflich sind, kümmere ich mich anschließend um die Formalitäten. Natürlich übernehme ich die volle Verantwortung.«
Torbjörn schwieg lange.
»Was soll ich tun?«, fragte er schließlich, wirkte aber immer noch skeptisch.
Paula erzählte ihm, was sie von ihm wollte. Torbjörn nickte bedächtig.
»Ausnahmsweise. Aber wenn etwas passiert, tragen Sie die Verantwortung. Sorgen Sie dafür, dass alles einen korrekten Eindruck macht.«
»Versprochen.« Paula spürte vor Aufregung im ganzen
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