Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
auf ihrer Schulter war zart und flößte ihr Vertrauen ein. Die Stimme sang weiter, und Annie wollte sich umdrehen und nach dem Kind sehen, doch ihre Lider wurden schwer.
Das Letzte, was sie im Niemandsland zwischen Traum und Wirklichkeit sah, war das Blut an ihren Händen.
»Hat Erling dich freiwillig gehen lassen?« Anders küsste sie auf die Wange, als sie zur Tür hereinkam.
»Krise im Gemeindebüro.« Dankbar nahm Vivianne das Glas Wein entgegen, das ihr Bruder ihr reichte. »Außerdem weiß er, dass es vor der Einweihung noch viel zu tun gibt.«
»Sollen wir das zuerst besprechen?« Anders setzte sich an den Küchentisch, der mit Papierkram bedeckt war.
»Manchmal kommt mir alles so sinnlos vor.« Vivianne setzte sich ihm gegenüber.
»Du weißt doch, warum wir das machen.«
»Ja, ich weiß.« Sie blickte in ihr Glas.
Erstaunt betrachtete Anders ihren Ringfinger.
»Was ist das?«
»Erling hat um meine Hand angehalten.« Vivianne trank einen kräftigen Schluck.
»Ach!«
»Ja«, erwiderte sie. Was sollte sie auch sagen?
»Haben wir einen Überblick über die Einladungen?« Anders war bewusst, dass er besser das Thema wechselte. Er zog einige zusammengeheftete Blätter voller Namen aus dem Stapel.
»Der letzte Termin für die Zusage ist Freitag.«
»Gut, dann hätten wir das im Griff. Und das Essen?«
»Es ist alles eingekauft, der Koch macht einen guten Eindruck, und wir haben genug Servicekräfte.«
»Ist das nicht alles absurd?«, fragte Anders plötzlich und legte die Gästeliste wieder auf den Tisch.
»Warum?«, antwortete Vivianne. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Es hat noch nie geschadet, sich ein bisschen zu amüsieren.«
»Stimmt, aber es macht auch höllisch viel Arbeit.« Anders zeigte auf die vielen Papierstapel.
»Und ein wunderbarer Abend kommt dabei heraus. Ein großes Finale.« Sie prostete ihrem Bruder zu und trank einen Schluck. Auf einmal bereiteten ihr der Geschmack und der Geruch Übelkeit. Obwohl sie seitdem weit gekommen waren, wirkten die Bilder auf ihrer Netzhaut klar und deutlich.
»Hast du darüber nachgedacht, was ich gesagt habe?« Anders sah sie prüfend an.
»Was meinst du?« Sie tat, als würde sie ihn nicht verstehen.
»Olof.«
»Ich habe doch gesagt, dass ich über ihn nicht sprechen möchte.«
»So können wir nicht weitermachen.« Seine Stimme klang flehentlich, aber sie verstand nicht, warum. Was wollte er denn? Das hier war doch das Einzige, was sie kannten. Sie und er. Immer weiter. Das war ihr Leben, seit sie sich von ihm befreit hatten, von dem Rotweingeruch, dem Zigarettenrauch und den merkwürdigen Düften der Männer. Sie hatten alles zusammen gemacht, und sie konnte gar nicht begreifen, was er damit meinte, wenn er sagte, so könne es nicht weitergehen.
»Hast du heute Nachrichten gehört?«
»Ja.« Anders stand auf und deckte den Tisch für das Abendessen. Die Unterlagen hatte er ordentlich gestapelt und auf einen Küchenstuhl gelegt.
»Was denkst du?«
»Ich denke gar nichts.« Er stellte für beide einen Teller hin.
»An dem Freitag, nachdem Mats hier im Badis aufgetaucht war, bin ich am späten Abend zu dir gegangen. Erling schlief, und ich musste mit dir reden. Aber du warst nicht zu Hause.« Nun hatte sie es gesagt, nun war sie endlich losgeworden, was sie seit Tagen beschäftigte. Sie sah Anders an und hoffte inständig auf eine Reaktion, irgendetwas, was sie beruhigte. Aber er wich ihrem Blick aus. Er blieb reglos stehen und fixierte einen Punkt auf der Tischplatte.
»Ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Vielleicht habe ich einen Abendspaziergang gemacht.«
»Es war nach Mitternacht. Wer geht denn so spät spazieren?«
»Du doch offenbar.«
Vivianne spürte ein Stechen hinter den Lidern. Anders hatte noch nie Geheimnisse vor ihr gehabt. Beide hatten sie nie etwas voreinander geheim gehalten. Bis jetzt. Und das machte ihr mehr Angst, als sie je in ihrem Leben empfunden hatte.
Patrik vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Lange blieben sie so im Flur stehen.
»Ich habe es schon gehört«, sagte Erica.
Sobald der Vorfall bekannt geworden war, hatten in Fjällbacka die Telefone geklingelt, und inzwischen wussten es alle. Gunnar Sverin war in den Keller gegangen und hatte sich eine Kugel in den Kopf geschossen.
»Liebling.« Sie merkte, dass er stoßweise atmete, und als sie sich von ihm losgemacht hatte, sah sie die Tränen in seinen Augen. »Was ist passiert?«
Sie nahm seine Hand und führte ihn in die Küche. Die
Weitere Kostenlose Bücher