Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
hätte er ihn aufgebrochen.
Das Gewehr, mit dem er oft auf Elchjagd gegangen war, fühlte sich vertraut an. Wie ferngesteuert nahm er eine Patrone aus der Schachtel. Mehr als eine würde er nicht brauchen, es gab keinen Grund zur Verschwendung. Er legte die Patrone ein. Das Klicken übertönte seltsamerweise das immer lautere Rauschen.
Dann setzte er sich auf den Stuhl an der Werkbank. Es gab keinen Zweifel. Der Finger lag nun am Abzug. Als das Metall gegen Gunnars Zähne schlug, zuckte er kurz zusammen, aber dann war da nur noch der Gedanke, wie richtig und wie notwendig es war.
Gunnar drückte auf den Abzug. Das Brausen verstummte.
Mellberg verspürte einen ihm unbekannten Druck auf der Brust. Ein solches Gefühl hatte er noch nie erlebt. Es hatte ihn in dem Augenblick befallen, als Patrik aus Fjällbacka anrief. Der unangenehme Druck wollte einfach nicht nachlassen.
Ernst winselte in seinem Korb. Er schien die gedämpfte Stimmung seines Herrchens auf Hundeart wahrzunehmen. Er stand auf, schüttelte seinen großen Körper, tapste zu Mellberg hinüber und legte sich auf dessen Füße. Das half ein bisschen, aber das unschöne Gefühl blieb. Woher hätte er denn wissen sollen, dass ausgerechnet so etwas passieren würde? Dass dieser Kerl einfach in den Keller ging und sich mit dem Jagdgewehr den Schädel wegpustete? War es nicht unmenschlich, von ihm zu verlangen, dass er, Mellberg, einen solchen Vorfall vorhersah?
Doch wie er die Rechtfertigungen auch drehte und wendete, sie waren nicht recht überzeugend. Abrupt stand er auf. Ernst erschrak, als plötzlich sein Kissen verschwand.
»Komm, Junge, wir gehen nach Hause.« Er nahm die Leine vom Garderobenhaken und befestigte sie an Ernsts Halsband.
Im Flur herrschte eisige Stille. Alle hatten sich in ihren Zimmern verschanzt, aber er hörte die Vorwürfe regelrecht durch die geschlossenen Türen. Er hatte ihre Augen gesehen. Vielleicht zum allerersten Mal in seinem Leben ging er mit sich selbst ins Gericht. Eine Stimme in seinem Innern sagte ihm, dass die anderen möglicherweise recht hatten.
Ernst zerrte an der Leine, und Mellberg beeilte sich, an die frische Luft zu kommen. Er verdrängte das Bild von Gunnar, der auf einer Bahre im Kühlraum auf die Obduktion wartete. Auch das Bild der Ehefrau, oder besser gesagt, der Witwe versuchte er abzuschütteln. Hedström hatte gesagt, sie habe vollkommen abwesend gewirkt und nach dem Knall im Keller keinen Laut von sich gegeben. Patrik und Gösta waren nach unten gerast, und als sie wiederkamen, rührte sie sich nicht mehr. Sie war offenbar zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht worden, aber an ihrem Blick hatte Hedström erkannt, dass sie nie wieder ein Mensch werden würde. In seinem Berufsleben waren ihm einige dieser Gestalten begegnet. Sie schienen am Leben zu sein, atmeten und bewegten sich, waren aber innerlich vollkommen leer.
Bevor Mellberg die Wohnungstür öffnete, holte er tief Luft. Er war nicht weit von einer Panikattacke entfernt. Hätte er den Druck auf seiner Brust doch einfach abschütteln können. Er wünschte, alles wäre wieder wie immer, wollte nicht darüber nachdenken, was er getan oder unterlassen hatte. Es war nie seine Stärke gewesen, die Konsequenzen seiner Handlungen zu tragen, und bislang hatte es ihm selten Kopfzerbrechen bereitet, wenn mal etwas schiefgegangen war.
»Hallo?« Plötzlich sehnte er sich verzweifelt nach Ritas Stimme und der Ruhe, die sie ausstrahlte. In ihrer Nähe ging es ihm gut.
»Hallo, Liebling, ich bin in der Küche!«
Mellberg nahm Ernst das Halsband ab, schleuderte die Schuhe von den Füßen und folgte seinem Hund, der schwanzwedelnd in die Küche lief. Ritas Hündin Señorita kam ihnen ebenso erfreut entgegen. Freudig schnüffelten die Tiere aneinander.
»In einer Stunde gibt es Essen.« Rita hatte ihm den Rücken zugewandt.
Vom Herd her roch es gut. Bertil zwängte sich an den Hunden vorbei, die stets so viel Raum wie möglich einzunehmen schienen, und schlang die Arme um Rita. Ihr fülliger Körper fühlte sich warm und vertraut an. Er hielt sie ganz fest.
»Donnerwetter, du gehst aber ran!«, lachte Rita. Sie drehte sich um und umarmte ihn. Bertil schloss die Augen und begriff, wie gut er es hatte, und wie selten er sich dessen bewusst war. Die Frau in seinen Armen war alles, was er sich je erträumt hatte. Er konnte gar nicht begreifen, wie er jemals auch nur für einen Moment hatte glauben können, dass ein Junggesellenleben das Beste für ihn
Weitere Kostenlose Bücher