Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Patrik es aufgenommen?« Anna zog die Beine aufs Sofa hoch. Die Kinder waren in der Schule und im Kindergarten, und die Zwillinge hielten vor der Haustür ihren Mittagsschlaf.
»Er war gestern ziemlich geknickt.« Erica griff nach einer Zimtschnecke.
Dans älteste Tochter Belinda hatte gebacken. Sie hatte damit angefangen, als sie mit einem Jungen befreundet war, der den häuslichen Mädchentyp bevorzugte. Er war mittlerweile Geschichte, aber das Backen machte ihr noch immer Spaß, und es ließ sich nicht bestreiten, dass sie ein Naturtalent war.
»Gott, sind die lecker.« Erica verdrehte die Augen.
»Belinda macht ihre Sache gut. Und sie war wahnsinnig lieb zu den Kleinen, hat Dan gesagt.«
»Stimmt. Als sie gebraucht wurde, hat sie wirklich mit angepackt.«
Mit ihren schwarzen Haaren, den schwarzen Nägeln und dem schrillen Make-up sah Belinda zwar abenteuerlich aus, aber als Anna abgetaucht war, hatte sie ihre jüngeren Geschwister und auch Emma und Adrian unter ihre Fittiche genommen.
»Es war ja nicht Patriks Schuld«, sagte Anna.
»Ich weiß, das habe ich ihm auch gesagt. Einen Vorwurf könnte man eher Mellberg machen, aber aus irgendeinem Grund fühlt sich Patrik immer verantwortlich. Gösta und er waren bei Gunnar zu Hause, als er sich erschoss, und nun denkt Patrik, ihm hätte etwas auffallen müssen.«
»Wie denn das?«, schnaubte Anna. »Man kündigt doch nicht an, dass man sich das Leben nimmt. Ich habe mehrmals gedacht, dass …« Sie sah Erica an.
»Du würdest das niemals tun, Anna.« Erica beugte sich zu ihrer Schwester hinüber und sah ihr in die Augen. »Du hast mehr durchgemacht als die meisten Menschen und hättest es sonst schon getan. Es passt nicht zu dir.«
»Woher weiß man das?«
»Das weiß man, weil du eben nicht in den Keller gegangen bist und dir einen Gewehrlauf in den Mund gesteckt hast.«
»Wie besitzen auch keine Waffe«, sagte Anna.
»Stell dich nicht so dumm. Du weißt, was ich meine. Du hast dich nicht vor ein Auto geworfen, hast dir nicht die Pulsadern aufgeschlitzt und du hast keine Schlaftabletten genommen. Wie auch immer, du hast das alles nicht getan, weil du dafür zu stark bist.«
»Ich weiß nicht, ob es etwas mit Kraft zu tun hat«, murmelte Anna. »Es muss ziemlich viel Mut dazu gehören, auf den Abzug zu drücken.«
»Eigentlich nicht. Dafür muss man doch nur einen Augenblick lang mutig sein. Dann ist Schluss, und die anderen dürfen den Dreck wegmachen, wenn du mir den Ausdruck verzeihst. In meinen Augen hat das nichts mit Mut zu tun. Das ist Feigheit. An Signe hat Gunnar in dem Augenblick nicht gedacht. Sonst hätte er so etwas nicht getan, sondern wäre bei ihr geblieben, damit sie sich gegenseitig Halt geben. Alles andere ist eine feige Flucht, aber diesen Weg hast du nicht eingeschlagen.«
»Die dort behauptet, dass alles gut wird, wenn man mit Yoga anfängt, kein Fleisch mehr isst und fünf Minuten am Tag tief atmet.« Anna zeigte auf den Fernseher, wo eine überschwängliche Gesundheitsfanatikerin den einzigen Weg zu Glück und Wohlbefinden erläuterte.
»Wie soll man ohne Fleisch das Glück finden?«, sagte Erica.
Anna musste lachen.
»Du bist echt blöd.« Sie knuffte Erica mit dem Ellbogen in die Seite.
»Und das sagt ausgerechnet eine, die aussieht, als wäre sie probeweise aus der Klapse entlassen worden.«
»Pass auf!« Anna knallte Erica mit voller Wucht ein Kissen auf den Kopf.
»Hauptsache, du lachst wieder«, sagte Erica leise.
»Das war vermutlich nur eine Frage der Zeit«, stellte Petra Janssen fest. Übelkeit schnürte ihr fast den Hals zu, aber als Mutter von fünf Kindern hatte sie mit den Jahren eine immer größere Toleranz gegenüber ekelerregenden Gerüchen entwickelt.
»Stimmt, eine Überraschung ist es nicht.« Konrad Spetz, Petras langjähriger Kollege, schien mehr Schwierigkeiten zu haben, den Würgereiz zu beherrschen.
»Die Kollegen vom Drogendezernat müssen jeden Moment hier sein.«
Sie verließen das Schlafzimmer. Der Geruch verfolgte sie, aber im Wohnzimmer, das sich ein Stockwerk tiefer befand, war die Luft besser. Auf einem Stuhl saß eine laut schluchzende Frau um die fünfzig und wurde von den jüngeren Kollegen getröstet.
»Hat sie die Leiche gefunden?« Petra deutete auf die Frau.
»Ja, sie ist die Putzfrau von Westers. Normalerweise macht sie einmal in der Woche sauber, aber da Westers verreist waren, brauchte sie nur alle zwei Wochen zu kommen. Und heute hat sie dann …« Konrad räusperte
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