Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
guter Freund ihres Vaters gewesen, und sie konnten sich aus ihrer Kindheit noch gut an ihn erinnern: ein immer gutgelaunter, geselliger und zu Scherzen aufgelegter Glatzkopf.
»Wie schön«, sagte Anna tonlos. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich deutlich die Trauer. Sie hatten sich auch einen unbehauenen Granitstein ausgesucht. »Der Kleine« stand darauf und nur eine einzige Jahreszahl.
Erica hatte einen Kloß im Hals, zwang sich aber, nicht zu weinen. Anna zuliebe musste sie jetzt stark sein. Leicht schwankend stand ihre kleine Schwester neben ihr und betrachtete den Grabstein, das Einzige, was ihr von dem Kind geblieben war, nach dem sie sich so gesehnt hatte. Sie griff nach Ericas Hand und drückte sie. Die Tränen kamen vollkommen lautlos. Dann drehte sie sich zu Erica um.
»Was soll nur werden? Wie soll es bloß weitergehen?«
Erica zog sie an sich und hielt sie fest umarmt.
»Rita und ich möchten euch einen Vorschlag machen.« Mellberg legte Rita den Arm um die Schultern und zog sie an sich.
Paula und Johanna sahen die beiden fragend an.
»Wir wissen ja nicht, wie ihr dazu steht.« Rita wirkte etwas skeptischer als Mellberg. »Ihr habt doch gesagt, dass ihr mehr Freiraum braucht … und nun kommt es darauf an, wie viel …«
»Wovon redet ihr?« Paula sah ihre Mutter an.
»Wir überlegen, ob es euch reichen würde, ein Stockwerk unter uns zu wohnen.« Mellberg sah die beiden erwartungsvoll an.
»Hier ist doch gar nichts frei«, sagte Paula.
»Doch. In einem Monat zieht jemand aus. Die Dreizimmerwohnung ein Stockwerk tiefer gehört euch, sobald ihr den Vertrag unterschrieben habt.«
Rita bemühte sich, an den Gesichtern der jungen Frauen abzulesen, was sie dachten. Sie hatte sich ein Loch in den Bauch gefreut, als Bertil ihr von der Wohnung erzählte, aber sie war sich nicht sicher, wie viel Abstand Paula und Johanna brauchten.
»Wir würden natürlich nicht ständig bei euch hereinschneien«, sagte sie entschieden.
Mellberg sah sie verdutzt an. War es nicht selbstverständlich, dass sie bei ihnen ein und aus gingen, wie es ihnen passte? Er ließ das Thema vorerst auf sich beruhen. Das Wichtigste war momentan, dass die Mädels das Angebot akzeptierten.
Paula und Johanna sahen sich an. Dann strahlten beide übers ganze Gesicht und redeten wild durcheinander.
»Die Dreizimmerwohnung da unten ist wunderbar. Sie ist hell und hat Fenster in zwei Richtungen. Und die Küche ist total neu. Leo könnte das Zimmer haben, in dem Bentes Kleiderschränke stehen, und …« Plötzlich verstummten sie.
»Wo will Bente eigentlich hin?«, fragte Paula. »Ich wusste gar nicht, dass sie auszieht.«
Mellberg zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich nehme an, sie hat sich etwas anderes gesucht. Davon hat Alvar nichts erwähnt, als wir miteinander sprachen. Er hat aber gesagt, dass wir selbst streichen müssen.«
»Kein Problem«, sagte Johanna. »Das macht doch Spaß. Das machen wir doch gern, nicht, Liebes?« Ihre Augen leuchteten. Paula küsste sie auf den Mund.
»Und wir können euch weiterhin Leo abnehmen«, warf Rita ein. »Wenn ihr wollt, meine ich natürlich, wir drängen uns bestimmt nicht auf.«
»Wir brauchen jede Menge Hilfe«, sagte Paula beschwichtigend. »Und wir finden es herrlich, dass Leo seine Großeltern in der Nähe hat. Hauptsache, wir bekommen eine eigene Wohnung.«
Paula drehte sich zu Mellberg um, der Leo auf den Schoß genommen hatte.
»Danke, Bertil.«
Zu seinem eigenen Erstaunen war er ein wenig verlegen.
»Ach, das ist doch nicht der Rede wert.« Er vergrub sein Gesicht in Leos Nacken, so dass der Junge wie üblich vor Lachen gluckste. Dann blickte er auf und sah sich in der Küche um. Wieder einmal empfand Bertil Mellberg eine tiefe Dankbarkeit für seine neue Familie.
Ziellos streifte er durch das Gebäude. Überall rannten Menschen herum und trafen die letzten Vorbereitungen. Anders wusste, dass er mithelfen sollte, der Schritt, der ihm bevorstand, lähmte ihn jedoch. Er wollte, und er wollte nicht. Die Frage war, ob er genug Mut hatte, die Konsequenzen seines Handelns zu tragen. Er war sich nicht sicher, aber lange würde er nicht mehr darüber nachdenken können. Dann musste er eine Entscheidung fällen.
»Haben Sie Vivianne gesehen?« Eine Frau vom Servicepersonal hastete an ihm vorbei. Anders zeigte in den Speisesaal. »Danke, das wird bestimmt ein toller Abend.«
Alle waren in Eile. Er selbst hatte das Gefühl, durch Wasser zu waten.
»Da bist du ja, mein lieber
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