Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
zukünftiger Schwager.« Erling legte ihm den Arm um die Schultern, und Anders musste sich zusammenreißen, um stillzuhalten. »Das wird der Knaller. Die Promis kommen um vier, da haben sie noch ein bisschen Zeit, sich in ihren Zimmern einzurichten. Ab sechs ist allgemeiner Einlass.«
»Anscheinend sind wir heute das Stadtgespräch.«
»Alles andere wäre aber auch schlimm. Dies ist in unserer Gegend das größte Ereignis seit …« Erling beendete den Satz nicht, aber Anders verstand, was er meinte. Er hatte von »Raus aus Tanum« und dem ganzen Fiasko gehört.
»Wo steckt denn meine kleine Turteltaube?« Erling reckte den Hals nach allen Seiten.
Wieder zeigte Anders in den Speisesaal, und Erling sauste los. Seine Schwester war heute ziemlich gefragt. Anders ging in die Küche und setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke. Er massierte sich die Schläfen, weil er starke Kopfschmerzen zu spüren begann. Schließlich wühlte er im Arzneischrank und schluckte eine Paracetamol. Bald, dachte er. Bald würde er sich entscheiden.
Als Erica das Boot aus dem Hafen lenkte, hatte sie noch immer einen Kloß im Hals. Sie mochte das Tuckern des Motors. Ihr Vater hatte das Boot gehütet wie seinen Augapfel, und auch wenn sie und Patrik nicht ganz so gewissenhaft damit umgingen, bemühten sie sich doch, es gut zu behandeln. In diesem Jahr würden sie das Holzdeck abschleifen und neu lackieren müssen. An einigen Stellen war die Farbe abgeblättert. Sie konnte sich gut vorstellen, es allein zu machen, wenn Patrik sich um die Kinder kümmerte. Da sie viel am Schreibtisch saß, fand sie es wunderbar, hin und wieder mit den Händen zu arbeiten. Sie war auch praktischer veranlagt als Patrik, was jedoch nicht viel hieß.
Sie blickte zum Badis hoch. Sie hoffte, dass sie ein Weilchen zur Einweihungsfeier gehen konnten, aber sie hatten sich noch nicht entschieden. Patrik hatte heute Morgen müde ausgesehen, und man konnte nicht wissen, ob Kristina bis zum späten Abend durchhielt.
Jedenfalls freute sie sich auf Gråskär. Schon als sie mit Patrik vor einigen Tagen dort gewesen war, hatte die Atmosphäre sie gefangen genommen, und seitdem sie einiges über die Insel gelesen hatte, war sie noch faszinierter. Sie hatte sich viele Bilder vom Schärengarten angesehen, aber dieser Leuchtturm war zweifellos einer der schönsten. Kein Wunder, dass Annie sich dort draußen wohl fühlte, auch wenn sie selbst nach ein paar Tagen ohne Gesellschaft durchgedreht wäre. Annies Sohn fiel ihr ein, dem es mittlerweile wohl hoffentlich besserging, da sie sich nicht gemeldet hatte.
Eine Weile später tauchte Gråskär am Horizont auf. Am Telefon hatte Annie nicht den Anschein erweckt, sonderlich begeistert von Ericas bevorstehendem Besuch zu sein, sich aber schließlich überreden lassen. Erica war überzeugt, dass Annie sich freuen würde, mehr über die Insel zu erfahren.
»Bekommst du das Anlegemanöver allein hin?«, rief Annie vom Steg.
»Kein Problem, wenn dir dein Steg nicht so wichtig ist.« Sie grinste, um deutlich zu machen, dass sie nur einen Witz machte, und legte elegant an. Sie schaltete den Motor ab, warf den Tampen auf den Steg, und Annie befestigte ihn gewissenhaft an der Klampe.
»Hallo«, sagte Erica, als sie aus dem Boot geklettert war.
»Hallo«, erwiderte Annie zaghaft, wich jedoch Ericas Blick aus.
»Wie geht es Sam?« Erica warf einen Blick auf das Haus.
»Besser«, sagte Annie. Sie war schmaler geworden, seit Erica sie zuletzt gesehen hatte, und ihre knochigen Schultern bohrten sich durch das T-Shirt.
»Selbstgebackene Zimtschnecken.« Erica hielt eine Tüte hoch. »Hätte ich dir vielleicht noch mehr mitbringen sollen?« Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie Annie nicht gefragt hatte, ob sie für sie einkaufen sollte. Für Annie wäre es bestimmt eine Überwindung gewesen, sie noch einmal darum zu bitten. Sie kannten sich ja nicht gut.
»Nein, keine Sorge. Beim letzten Mal habt ihr so viel Zeug mitgebracht, und ich kann ja auch Gunnar und Signe fragen. Ich weiß natürlich nicht, ob ihnen jetzt der Kopf danach steht …«
Erica schluckte. Sie konnte sich noch nicht überwinden, es ihr zu sagen. Sie mussten sich erst setzen.
»Ich habe den Tisch im Bootshaus gedeckt. Es ist richtig schön heute.«
»Stimmt, bei dem Wetter kann man nicht drin hocken.« Erica folgte Annie zu dem offenen Bootshaus, wo zwei Kaffeetassen auf einem verwitterten Tisch mit Holzbänken an beiden Seiten standen. An den Wänden hingen
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