Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
und Gustav in Frieden ließ.
Es war auch von Jahr zu Jahr klarer zu erkennen, dass Gott überall auf Gråskär anwesend war. Sie war dankbar, dass sie und Gustav hier leben durften, wo sie Gottes Geist in den Bewegungen der Wellen spürten und seine Stimme im Rauschen des Windes hörten. Jeder Tag auf der Insel war ein Geschenk, und Gustav war ein bildhübsches Kind. Sie wusste, dass es an Hochmut grenzte, so über ihren Sohn zu denken, der doch ihr eigenes Abbild war. Laut der Bibel war er jedoch auch Gottes Abbild, und daher hoffte sie, diese Sünde würde ihr vergeben. Denn er war ein schönes Kind mit seinen blonden Locken, den blauen Augen und den langen Wimpern, die seine Wangen berührten, wenn er abends neben ihr einschlief. Ohne Unterlass redete er mit ihr und den Toten. Manchmal belauschte sie ihn heimlich. Er sagte kluge Dinge, und sie hatten viel Geduld mit ihm.
»Darf ich nach draußen, Mutter?«
Er zupfte an ihrem Rock und blickte zu ihr auf.
»Natürlich.« Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn. »Aber pass auf, dass du nicht ins Wasser fällst.«
Emelie sah hinter ihm her, als er leichtfüßig hinauslief. Eigentlich machte sie sich keine Sorgen. Sie wusste, dass er nicht allein war. Gott und die Toten wachten über ihn.
A m Samstag war das Wetter perfekt. Strahlende Sonne, blauer Himmel und eine leichte Brise. Ganz Fjällbacka brummte vor Aufregung. Die Glücklichen, die eine Einladung zur Einweihungsfeier am Abend erhalten hatten, waren schon die halbe Woche damit beschäftigt gewesen, sich den Kopf über Kleidung und Frisur zu zerbrechen. Alles, was in der Gegend Rang und Namen hatte, wollte dorthin, und man munkelte, es würden sogar Prominente aus Göteborg kommen.
Erica jedoch hatte andere Dinge im Kopf. Ihr war am Morgen eine Idee gekommen. Es war besser, wenn man Annie die Nachricht von Gunnars Tod persönlich überbrachte und sie nicht am Telefon davon erfuhr. Sie wollte ohnehin hinausfahren und Annie mit den Ergebnissen ihrer Recherchen über die Geschichte Gråskärs überraschen. Außerdem hatte sie jetzt eine Babysitterin, und diese Gelegenheit durfte sie sich nicht entgehen lassen.
»Macht es dir wirklich nichts aus, auf sie aufzupassen?«
Kristina krauste die Nase.
»Auf diese kleinen Engel? Kein Problem.« Sie hatte Maja auf dem Arm, und die Zwillinge schliefen in ihren Tragetaschen.
»Ich bleibe ziemlich lange weg. Zuerst besuche ich Anna, und dann fahre ich hinaus nach Gråskär.«
»Du bist doch vorsichtig, wenn du allein mit dem Boot unterwegs bist?« Kristina setzte Maja ab, die sich wand wie ein Aal, ihren kleinen Brüdern ein feuchtes Küsschen aufs Gesicht drückte und sich zum Spielen zurückzog.
»Ich bin eine ausgezeichnete Bootsführerin«, lachte Erica. »Im Gegensatz zu deinem Sohn.«
»Da hast du wohl recht.« Kristina wirkte immer noch besorgt. »Bist du sicher, dass Anna genug Kraft hat?«
Erica hatte sich das auch gefragt, als Anna anrief und sie bat, sie zum Grab zu begleiten, doch dann hatte sie eingesehen, dass ihre Schwester das selbst entscheiden musste.
»Ich glaube schon.« Aber sie hatte ihre Zweifel.
»Es erscheint mir etwas früh.« Kristina nahm Noel hoch, der zu quengeln begonnen hatte. »Ich hoffe, dass du recht hast.«
Ich auch, dachte Erica, als sie zum Auto ging. Sie hatte Anna versprochen, sie zum Friedhof zu begleiten, und nun konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.
Anna wartete am großen Eisentor neben der Feuerwehr. Sie sah sehr klein aus, wirkte mit den kurzen Haaren zerbrechlich. Erica musste sich beherrschen, um sie nicht in den Arm zu nehmen und wie ein Kind zu wiegen.
»Schaffst du das?«, fragte sie sanft. »Wenn du willst, kommen wir ein andermal wieder.«
Anna schüttelte den Kopf. »Es geht schon. Ich bin jetzt bereit dafür. Ich war so weit weg, dass ich mich kaum an die Beerdigung erinnere. Nun muss ich sehen, wo er liegt.«
»In Ordnung.« Erica hakte Anna unter und ging mit ihr über den geharkten Kiesweg.
Einen schöneren Tag hätten sie sich nicht aussuchen können. Der Verkehr rauschte leise, aber ansonsten war es still und friedlich. Auf den Steinen blitzten Lichtreflexe, und viele Gräber waren von den Angehörigen mit frischen Blumen geschmückt worden. Plötzlich zögerte Anna. Mit einer Kopfbewegung zeigte Erica ihr, wo sich das Grab befand.
»Er liegt neben Jens.« Erica wies auf einen großen runden Grabstein aus schönem Granit, in den der Name Jens Läckberg gemeißelt war. Jens war ein
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