Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
dachte Patrik.
»Nein, wirklich nicht. Aber das muss ja nicht heißen, dass es da niemanden gegeben hat«, fügte er hinzu, als hätte er Patriks Gedanken gelesen.
»Okay. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, können Sie mich unter dieser Nummer erreichen.« Patrik gab Gunnar seine Karte. »Egal, was es ist. Auch Kleinigkeiten. Wir werden noch mit Ihrer Frau sprechen müssen. Auch an Sie haben wir weitere Fragen. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden.«
»Ja.« Gunnar steckte das Kärtchen ein. »Selbstverständlich.«
Durch die Scheibe betrachtete er Signe, die anscheinend aufgehört hatte zu weinen. Wahrscheinlich hatte ihr der Rettungsarzt ein Beruhigungsmittel gegeben.
»Mein Beileid«, sagte Patrik. Dann hing Stille in der Luft zwischen ihnen. Es gab nicht mehr viel zu sagen.
Als sie aus dem Polizeiauto stiegen, kam Torbjörn Ruud mit seinem Team. Die mühsame Suche nach Beweisen begann.
Im Nachhinein war es schwer nachzuvollziehen, warum sie Fredrik nicht durchschaut hatte. Aber vielleicht war das auch nicht so einfach gewesen. Das Äußere hatte so makellos gewirkt, und er hatte ihr auf eine Weise den Hof gemacht, wie sie es sich nie hätte träumen lassen. Anfangs hatte sie ihn ausgelacht, doch das hatte ihn nur angespornt, sich noch mehr Mühe zu geben, um ihren Widerstand allmählich zu brechen. Er hatte sie nach Strich und Faden verwöhnt, auf Auslandsreisen mitgenommen, wo sie in Fünf-Sterne-Hotels wohnten, hatte sie zum Champagner eingeladen und mit Blumen überhäuft, bis ihre Wohnung vor Sträußen fast überquoll. Sie sei ihm den Luxus wert, sagte er. Und sie glaubte ihm. Er schien etwas in ihr anzusprechen, das immer da gewesen war. Eine Art Unsicherheit und der Wunsch, immer wieder zu hören, sie sei etwas Besonderes und habe etwas Besseres verdient als alle anderen. Wo das Geld herkam? Annie konnte sich nicht erinnern, die Frage gestellt zu haben.
Der Wind hatte aufgefrischt, aber sie saß noch immer auf der Bank an der Südseite des Hauses. Obwohl der Kaffee inzwischen kalt war, trank sie hin und wieder einen Schluck. Die Hände, die sie um ihren Körper schlang, zitterten. Die Beine fühlten sich immer noch wacklig an, und der Magen war in Aufruhr. Sie wusste, dass die Beschwerden eine Weile anhalten würden. Das war nichts Neues.
Langsam war sie hineingewachsen in Fredriks Welt, die mit Partys und Reisen, mit schönen Menschen und schönen Dingen angefüllt war. Ein schickes Haus. Sie war umgehend aus ihrer Einzimmerwohnung in Farsta aus-und bei Fredrik eingezogen. Wie hätte sie nach Tagen und Nächten in seiner riesigen Djursholmer Villa, wo alles neu, weiß und edel war, in dieses Loch zurückkehren sollen?
Als sie begriff, womit Fredrik eigentlich sein Geld verdiente, war es zu spät. Ihr Leben war bereits mit seinem verwoben. Sie hatten gemeinsame Freunde, sie hatte einen Ring am Finger und keine Arbeit, weil Fredrik wollte, dass sie zu Hause blieb und dafür sorgte, dass in seinem Leben alles reibungslos funktionierte. In Wirklichkeit hatte sie sich gar nicht besonders aufgeregt. Traurig, aber wahr. Da sie die beruhigende Gewissheit hatte, dass er zur obersten Schicht einer schmutzigen Industrie gehörte und sich dank seines hohen Postens nicht mit der Scheiße am unteren Ende der Skala zu befassen brauchte, hatte sie lediglich mit den Schultern gezuckt. In gewisser Weise war das Ganze spannend. Zu wissen, was um sie herum geschah, gab ihr einen kleinen Adrenalinstoß.
Nach außen hin war natürlich nichts davon zu sehen. Auf dem Papier war Fredrik Weinimporteur, und teilweise stimmte das auch. Seine Firma erwirtschaftete jedes Jahr einen mäßigen Gewinn, und er besuchte leidenschaftlich gern sein Weingut in der Toskana und beschäftigte sich mit dem Plan, einen eigenen Wein auf den Markt zu bringen. Niemand hinterfragte diese reizvolle Oberfläche. Manchmal saß Annie bei Abendeinladungen mit Menschen aus Adel und Wirtschaft an einem Tisch und wunderte sich darüber, wie leicht sie sich täuschen ließen und alles schluckten, was Fredrik sagte. Sie akzeptierten einfach, dass der enorme Reichtum, der sie umgab, aus seinem Importgeschäft stammte. Wahrscheinlich wollten sie es glauben. Genau wie Annie.
Als Sam kam, wurde alles anders. Fredrik war derjenige gewesen, der unbedingt Kinder wollte. Er verlangte einen Sohn. Sie selbst war skeptisch gewesen. Es erfüllte sie noch immer mit Scham, wenn sie sich daran erinnerte, dass sie sich Sorgen um ihre Figur, die dreistündigen
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