Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Luft. Wie hatte er das vergessen können, wie konnte er für einen einzigen Augenblick vergessen, dass Matte tot war? Sie hatten ihn doch auf dem gestreiften Flickenteppich liegen sehen, den Signe in ihrer Teppichphase gewebt hatte. Auf dem Bauch liegend, mit einem Loch im Hinterkopf. Wie hatte er das Blut vergessen können?
»Soll ich Kaffee aufsetzen?« Er musste die Stille zerreißen. Nur sein eigenes Herz hörte er noch klopfen und er hätte alles getan, um diese gleichmäßigen Schläge zu übertönen, die ihn zwangen, sich lebendig zu fühlen und einen Atemzug nach dem anderen zu tun, obwohl sein Sohn tot war.
»Ich mache uns ein Tässchen.« Er stand auf, auch wenn er von Signe keine Antwort erhalten hatte. Die Wirkung des Beruhigungsmittels hielt noch an, und sie saß mit gefalteten Händen und leerem Blick vollkommen reglos da.
Er bewegte sich wie ferngesteuert, steckte das Filterpapier in die Maschine und füllte Wasser ein, öffnete die Kaffeedose, zählte die Löffel ab und drückte auf den Schalter. Sofort begann das Gerät zu blubbern und zu schnaufen.
»Möchtest du zum Kaffee etwas dazu? Vielleicht ein Stück Kuchen?« Seine Stimme klang seltsam normal. Er ging zum Kühlschrank und holte den Butterkuchen heraus, den Signe am Vortag gebacken hatte. Sorgfältig entfernte er die Frischhaltefolie, legte den Kuchen auf ein Brett und schnitt zwei dicke Stücke davon ab. Dann holte er zwei Teller aus dem Schrank und stellte Signe den einen und sich selbst den anderen hin. Sie reagierte nicht, aber darum konnte er sich im Moment nicht kümmern. Er hörte nur das Pochen in seiner Brust, das vom Klirren des Tellers und der fauchenden Kaffeemaschine für einen Moment übertönt wurde.
Als der Kaffee durchgelaufen war, streckte er die Hand nach den Bechern aus. Die Macht der Gewohnheit schien von Jahr zu Jahr stärker zu werden, und sie hatten beide ihre Lieblingstassen. Signe trank immer aus der zarten weißen Tasse mit den Rosen am Rand, während er selbst am liebsten den robusten Keramikbecher nahm, den sie auf einem Busausflug nach Gränne gekauft hatten. Schwarzer Kaffee mit einem Stück Zucker für ihn, sie nahm Milch und zwei Stück Zucker dazu.
»Hier.« Er stellte den Becher neben ihren Kuchenteller.
Sie rührte sich nicht. Der Kaffee verbrannte ihm den Gaumen, weil er einen viel zu großen Schluck genommen hatte. Er hustete, bis das Brennen nachließ. Er biss vom Butterkuchen ab, doch der Bissen verwandelte sich im Mund in einen ungenießbaren Klumpen aus Zucker, Ei und Weizenmehl. Schließlich kam ihm Galle hoch, und er spürte, dass er den Klumpen, der immer größer wurde, wieder loswerden musste.
Gunnar raste an Signe vorbei in den Flur und hockte sich vor die Kloschüssel. Er sah Kaffee, Kuchenbröckchen und Galle in das Wasser klatschen, das grün war von dem Toilettenreiniger, den Signe immer unbedingt unter dem Rand des Klobeckens befestigen musste.
Als der Magen so gut wie leer war, hörte er sein Herz. Klopf, klopf, klopf. Er beugte sich nach vorn und übergab sich erneut. In der Küche wurde Signes Kaffee in der weißen Rosentasse kalt.
Es war Abend geworden, bevor sie in und um Mats Sverins Wohnung fertig wurden. Draußen war es noch hell, auf der Straße war kein Betrieb mehr, und es waren weniger Leute unterwegs.
»Er ist jetzt da«, berichtete Torbjörn Ruud.
Der Gerichtsmediziner sah müde aus, als er mit dem Handy auf Patrik zukam. Patrik hatte bereits bei mehreren Mordfällen mit Torbjörn und seinem Team zusammengearbeitet und empfand enormen Respekt vor dem Mann mit dem grauen Bart.
»Wann schaffen sie deiner Ansicht nach die Obduktion?« Patrik rieb sich die Nasenwurzel. Auch er spürte allmählich, dass es ein unheimlich langer Tag gewesen war.
»Da musst du Pedersen fragen. Ich habe keine Ahnung.«
»Was schätzt du denn vorläufig?« Patrik erschauerte in der frischen Brise auf dem Fleckchen Rasen vor dem Haus. Er zog seine Jacke fester zu.
»Soweit ich das erkennen kann, sieht die Sache nicht kompliziert aus. Schusswunde am Hinterkopf. Ein Schuss, der unmittelbar zum Tod geführt hat. Die Kugel steckt noch im Schädel. Die Hülse, die wir gefunden haben, deutet auf eine Neun-Millimeter-Pistole hin.«
»Irgendwelche Spuren in der Wohnung?«
»Überall waren Fingerabdrücke, und wir haben auch ein paar Faserreste mitgenommen. Falls wir einen Verdächtigen finden, haben wir eine Menge Vergleichsmaterial.«
»Vorausgesetzt, dass unser Verdächtiger die Abdrücke
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