Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
beiseite. Vivianne würde bestimmt Bescheid sagen, falls sie Hilfe brauchte.
Als der Kaffee fertig war, setzte sich Vivianne ihr gegenüber. Auch das Mobiliar war neu, stellte Erica fest. Die Tische und Stühle waren puristisch und modern, passten aber trotzdem perfekt in die altehrwürdige Umgebung. Jemand mit gutem Geschmack musste sich um die Einrichtung gekümmert haben. Die Aussicht war zauberhaft. Der ganze Schärengarten von Fjällbacka lag einem zu Füßen.
»Wann eröffnen Sie?« Erica griff nach einem etwas zweifelhaften Gebäckstück, bereute es aber sofort. Es enthielt absurd wenig Zucker und dafür Unmengen von gesunden Zutaten, dass es die Bezeichnung Keks nicht verdiente.
»In einer guten Woche. Falls bis dahin alles fertig ist«, seufzte Vivianne und stippte ihr Plätzchen in einen Becher mit Tee. Der ist bestimmt grün, dachte Erica und nippte genüsslich an ihrem pechschwarzen Getränk.
»Sie kommen doch zur Einweihungsfeier?«, fragte Vivianne.
»Das würde ich gern tun. Die Einladung habe ich erhalten, aber wir haben uns noch nicht entschieden. Einen Babysitter für drei Kinder zu finden ist nicht so einfach.«
»Versuchen Sie es, ich würde mich freuen. Am Samstag kommen übrigens Ihr Mann und seine Kollegen, um unser Angebot zu testen.«
»Ah ja«, lachte Erica. »Davon hat mir Patrik gar nichts erzählt. Ich glaube, er hat noch nie ein Spa betreten, das wird also ein interessantes Erlebnis für ihn.«
»Wir wollen es hoffen.« Vivianne strich Anton über den Kopf. »Wie geht es Ihrer Schwester? Nehmen Sie mir bitte nicht übel, dass ich danach frage, aber ich habe natürlich von dem Unfall gehört.«
»Kein Problem.« Zu ihrem Ärger kamen Erica die Tränen. Sie schluckte und bekam ihre Stimme schließlich einigermaßen unter Kontrolle. »Ehrlich gesagt, nicht gut. Sie hat viel durchgemacht.«
Die Erinnerung an Annas früheren Ehemann Lucas schoss Erica durch den Kopf. Es gab so viele Dinge, die sie sich nicht erklären konnte, aber diese Frau brachte sie auf seltsame Weise dazu, darüber zu sprechen. Und alles kam zur Sprache. Sie redete nie mit anderen Leuten über Annas Leben, aber sie hatte das Gefühl, dass Vivianne sie verstehen würde. Als sie fertig war, flossen die Tränen in Strömen.
»Sie hat es wirklich nicht leicht gehabt. Dieses Kind hätte sie gebraucht«, sagte Vivianne leise und fasste damit in Worte, was Erica schon oft gedacht hatte. Anna hatte dieses Kind verdient. Sie verdiente es, glücklich zu sein.
»Ich weiß nicht, was ich machen soll. Sie scheint meine Anwesenheit gar nicht zu bemerken. Es ist, als ob sie verschwunden wäre. Ich habe Angst, dass sie nicht zurückkommt.«
»Sie ist nicht verschwunden.« Vivianne schaukelte Anton hin und her. »Sie hat lediglich Schutz an einem Ort gesucht, wo sie den Schmerz nicht so spürt. Aber sie weiß, dass Sie da sind. Das Beste, was Sie tun können, ist, bei ihr zu sein und sie zu berühren. Wir haben vergessen, wie wichtig Körperkontakt ist, aber ohne ihn können wir nicht überleben. Fassen Sie sie an und sagen Sie das auch ihrem Mann. Oft machen wir den Fehler, Trauernde allein zu lassen. Wir glauben, sie benötigten Ruhe und müssten in Frieden gelassen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Der Mensch ist ein Herdentier, wir brauchen unsere Artgenossen, brauchen Nähe, Wärme und die Berührung von anderen Menschen. Sorgen Sie dafür, dass Anna von ihrer Herde umgeben ist. Lassen Sie nicht zu, dass sie allein dort liegt und sich an einem Ort verkriecht, wo es zwar keine Trauer, aber auch sonst keine Gefühle gibt. Sie muss da raus!«
Erica schwieg eine Weile. Sie dachte über Viviannes Worte nach und begriff, dass sie recht hatte. Sie hätten Anna nicht gewähren lassen dürfen. Sie hätten es öfter versuchen müssen.
»Und fühlen Sie sich nicht schuldig«, sagte Vivianne. »Annas Trauer hat nichts mit Ihrer Freude zu tun.«
»Aber sie muss doch das Gefühl haben«, schluchzte Erica, »dass ich alles bekommen habe und sie nichts.«
»Sie weiß, dass es da keinen Zusammenhang gibt. Falls etwas zwischen Ihnen steht, dann ist es Ihr Schuldgefühl. Anna verspürt weder Neid noch Zorn, weil Ihre Kinder überlebt haben. Das ist nur in Ihrem Kopf.«
»Woher wissen Sie das?« Erica wollte gern glauben, was Vivianne sagte, traute sich aber nicht. Was wusste diese Frau von Annas Gefühlen und Gedanken? Sie hatte sie doch noch nie gesehen. Andererseits klang es in gewisser Weise wahr und richtig.
»Ich kann nicht
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