Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
erklären, woher ich das weiß. Gewisse Dinge spüre ich, und ich weiß eine ganze Menge über Menschen. Sie müssen mir einfach vertrauen«, sagte Vivianne bestimmt. Erica merkte, dass sie genau das tat. Sie hatte Vertrauen zu ihr.
Als sie eine Weile später unterwegs zum Kindergarten war, bewegte sie sich leichtfüßig wie schon lange nicht mehr. Was sie bisher gehindert hatte, auf Anna zuzugehen, hatte sie überwunden. Auch das Gefühl von Ohnmacht abgeschüttelt.
Fjällbacka 1871
E ndlich trug das Eis. Es war in diesem Winter spät gekommen, erst im Februar. In gewisser Weise fühlte sich Emelie nun freier. Nach gut einer Woche war das Eis so dick, dass man es betreten konnte, und nun war es ihr zum ersten Mal möglich, sich auf eigene Faust von der Insel zu entfernen, wenn sie wollte. Das bedeutete eine lange Wanderung und auch ein gewisses Risiko, weil das Eis unabhängig von seiner Dicke dort, wo sich Strömungen befanden, jederzeit brechen konnte. Aber es bestand die Möglichkeit, die Insel zu verlassen.
Andererseits fühlte sie sich noch eingesperrter. Karl und Julian konnten ihre üblichen Ausflüge nach Fjällbacka nicht mehr unternehmen, und obwohl es Emelie jedes Mal, wenn sie betrunken und stinkend zurückkehrten, vor ihnen grauste, hatten ihr diese Fahrten eine kleine Atempause verschafft. Nun hielten sich die beiden öfter in ihrer Nähe auf, und die Stimmung war gedrückt. Sie erledigte still ihre Pflichten. Karl hatte sich ihr noch immer nicht genähert, und sie hatte auch keinen weiteren Versuch unternommen. Reglos lag sie im Bett und drückte sich an die Wand. Aber es war zu spät. Sein Abscheu vor ihr bestand, und sie war einsamer denn je.
Die Stimmen waren lauter geworden. Sie konnte nun immer mehr von dem gewahr werden, was zwar gegen alle Vernunft sprach, aber trotzdem keine Einbildung war. Das wusste sie. Die Toten schenkten ihr Geborgenheit, sie waren die einzigen auf der Insel, die ihr Gesellschaft leisteten, und ihre Trauer war im Einklang mit der ihren. Auch das Leben der Toten hatte sich nicht so entwickelt, wie sie erwartet hatten. Emelie und sie konnten einander verstehen, obwohl ihre Schicksale durch die dickste Mauer von allen getrennt war. Den Tod.
Karl und Julian nahmen sie nicht so deutlich wahr wie Emelie. Hin und wieder schienen sie jedoch von einer unbegreiflichen Unruhe erfüllt zu werden. In solchen Momenten sah sie, dass sie sich fürchteten, und freute sich insgeheim darüber. Die Liebe zu Karl war nicht mehr ihr Lebensinhalt. Er war nicht der, für den sie ihn gehalten hatte, aber das Leben war eben so und nicht anders. Dagegen konnte sie nichts machen. Sie konnte lediglich über seine Ängste froh sein und Zuflucht bei den Toten suchen. Es gab ihr das Gefühl, auserwählt zu sein. Nur sie wusste, dass sie da waren. Sie gehörten ihr.
Doch nachdem das Eis einen Monat gehalten hatte, wurde ihr allmählich klar, dass die Angst auch in ihrem Gesicht zu sehen war. Die Stimmung war inzwischen noch angespannter. Julian packte jede Gelegenheit beim Schopf, sie anzuraunzen und seine Wut an ihr auszulassen, weil sie auf der Insel festsaßen. Karl sah ungerührt zu, und ständig flüsterten die beiden miteinander. Sie steckten auf dem Sofa die Köpfe zusammen, ohne Emelie aus den Augen zu lassen. Sie wusste nicht, was die beiden miteinander zu bereden hatten, aber es war mit Sicherheit nichts Gutes. Manchmal schnappte sie etwas auf. In letzter Zeit hatten sie oft über den Brief gesprochen, den Karl von seinen Eltern bekommen hatte, bevor der Schärengarten zufror. Sie diskutierten aufgeregt darüber, aber was in dem Brief stand, hatte sie nicht herausbekommen. In Wahrheit wollte sie es auch gar nicht wissen. Julians finsterer Blick und Karls kraftlose Stimme jagten ihr Schauer über den Rücken.
Sie verstand auch nicht, warum die Schwiegereltern nie zu Besuch kamen oder sie zu ihnen fuhren. Karls Elternhaus war nur eine gute Stunde von Fjällbacka entfernt. Emelie wagte jedoch nicht, danach zu fragen. Wenn Karl Post von zu Hause bekam, war er tagelang schlecht gelaunt. Nach dem letzten Brief war es schlimmer als je zuvor gewesen. Wie immer stand Emelie ratlos da und wusste nicht, was um sie herum geschah.
A lles tipptopp«, sagte Gösta. Er sah sich in der Wohnung um. Auch wenn er stolz auf seinen Vorstoß war, bekam er bei dem Gedanken an Hedströms Reaktion leichte Bauchschmerzen.
»Bestimmt schwul«, sagte Mellberg.
Gösta seufzte. »Wie kommst du darauf?«
»So
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