Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)
natürlich draußen.«
»Pew, du warst noch nicht auf der Welt.«
»Derjenige Pew, der auf der Welt war, war jedenfalls draußen.«
»Was hat sie zu ihm gesagt?«
Dark spürte den wohlbekannten Schmerz hinter den Augen. Seine Augen waren Gitterstäbe, und dahinter saß ein wildes ausgehungertes Tier. Wenn die Leute ihn ansahen, hatten sie das Gefühl, ausgesperrt zu sein. Dabei sperrte er sie nicht aus. Er sperrte sich ein.
Er öffnete die kleine Tür im Sockel des Leuchtturms und stieg die gewundene Treppe hinauf bis zum Feuer. Er ging mit hastigen Schritten, und die Treppe war steil, aber er war kaum außer Atem. Sein Körper schien stärker zu werden, je weniger er sich im Griff hatte. Er hatte sich unter Kontrolle, ja, er hatte sich unter Kontrolle, bis er einschlief oder sein Geist dem Käfig entwich, wie es bisweilen geschah. Allein durch Willenskraft war er in der Lage gewesen, ihn zu zügeln, genau wie er allein durch Willenskraft in der Lage gewesen war, aufzuwachen, die Träume zurückzudrängen in die Nacht, seine Lampe anzuzünden und zu lesen. Er war in der Lage gewesen, alles zu verdrängen, und wenn er morgens erschöpft aufwachte, war es ihm gleich. In letzter Zeit aber gelang es ihm nicht mehr, aus diesen Träumen aufzuwachen. Allmählich bezwang ihn die Nacht.
Zielstrebig betrat er den Raum. Er zögerte. Er blieb stehen. Da war Molly, sie hatte ihm den Rücken zugewandt, und als sie sich umwandte, liebte er sie. Es war sehr einfach; er liebte sie. Warum hatte er alles so kompliziert gemacht?
»Babel …«
»Warum bist du gekommen? Ich habe dich gebeten, mir niemals zu folgen.«
»Ich wollte dein Leben sehen.«
»Ich habe kein Leben, bis auf mein Leben mit dir.«
»Du hast eine Frau und einen Sohn.«
»Ja.«
Er hielt inne. Wie sollte er das erklären? Er hatte Molly nicht angelogen – sie wusste, dass er der Geistliche von Salts war. Es war ihm nie notwendig erschienen, ihr von seiner Frau oder seinem Sohn zu erzählen. Andere Kinder hatte es nicht gegeben. War das so schwer zu verstehen?
»Was wirst du jetzt tun?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Ich liebe dich«, sagte er.
Die drei schwierigsten Wörter der Welt.
Sie berührte ihn im Vorbeigehen und ging langsam die Treppe hinunter. Er horchte, bis er in weiter Ferne die Tür ins Schloss fallen hörte – am Grund seines Lebens, so schien es ihm.
Dann weinte er.
An jenem Tag im Leuchtturm
war sie zum Feuer hinaufgegangen, und in ihrem kupferfarbenen Kleid und dem herbstlichen Haar stand sie da wie ein zarter Hebel inmitten der Instrumente, die die Linse kreisen und das Licht sich brechen ließen.
Hier hat Babels Leben angefangen, dachte sie, hier war der Grund seines Daseins, der Augenblick seiner Geburt. Warum konnte er nicht genauso sein, gleichmäßig und strahlend?
Sie war nie von ihm abhängig gewesen, aber sie hatte ihn geliebt, was etwas vollkommen anderes ist. Sie hatte seine Wut und Unsicherheit ganz in sich aufnehmen wollen. Sie hatte ihren Körper als Erdungsdraht benutzt. Sie hatte ihn erden wollen. Stattdessen hatte sie ihn gespalten.
Hätte sie an jenem Tag das Treffen mit ihm ausgeschlagen, hätte sie nicht einmal seinen Namen ausgesprochen, hätte sie ihn nur angesehen und sich in der Menge versteckt, wäre sie auf die eiserne Empore gestiegen und hätte ihn nur beobachtet. Hätte sie ihm niemals den Finger verbunden. Hätte sie niemals in einem kalten Zimmer Feuer gemacht.
Ein wenig war er wie dieser Leuchtturm. Er war einsam und unnahbar. Er war hochmütig, zweifellos war er das, und in sich selbst gehüllt. Er war dunkel. In Babel Dark brannte niemals Licht. Die Instrumente waren alle an ihrem Platz und glänzten, doch es brannte kein Licht.
Hätte sie niemals in einem kalten Zimmer Feuer gemacht …
Doch wenn sie schlief, wenn sie allein war, wenn die Kinder still waren, umspülte ihn ihr Geist wie das Meer. Er war immer gegenwärtig. Er war ihr Navigationspunkt. Er bildete die Koordinaten ihrer Position.
Sie glaubte nicht an Schicksal, doch sie glaubte an diesen felsigen Ort. Der Leuchtturm, Babel. Babel, der Leuchtturm. Sie würde ihn immer finden, er würde dort sein, und sie würde zu ihm zurückrudern.
Kann man einen Menschen verlassen und dennoch bei ihm sein? Sie hielt es für möglich. Sie wusste, was immer heute passieren würde, wie auch immer sie handelten, ob sie ihn nun behielt oder verlor, es machte kaum einen Unterschied. Sie kam sich vor wie jemand aus einem
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