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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Winterson
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beisammen, während sich alle anderen trennten, um an ihnen vorbeizuströmen. Dann öffnete Molly schweigend und ohne sein Bitten ihre Tasche und gab ihm eine Karte mit ihrer Anschrift in Bath.
    Sie küsste ihn auf die Wange und wandte sich ab.
    Dark sah sie gehen, wie man einen Vogel am Horizont beobachtet, den nur man selbst sehen kann, denn nur man selbst hat ihm nachgeschaut.
    Dann war sie verschwunden.
     
    Spät geworden. Schatten. Die Gaslaternen wurden angesteckt. In jeder Scheibe sein Spiegelbild. Ein Dark. Hunderte. Tausende. Dieser vielfach gebrochene Mann.
    Dark dachte wieder an seine Frau.
    Drängelnd schob er sich durch die Gänge und kam zu der Stelle, wo er sie zurückgelassen hatte. Sie war immer noch da, die Hände im Schoß gefaltet, das Gesicht zur Maske erstarrt.
    »Entschuldige«, sagte er. »Ich wurde aufgehalten.«
    »Sechs Stunden lang.«
    »Ja.«
Pew – warum hat meine Mutter meinen Vater nicht geheiratet?
     
    Es blieb ihr keine Zeit dazu. Er kam und war weg.
    Warum hat Babel Dark Molly nicht geheiratet?
    Er zweifelte an ihr. An demjenigen, den man liebt, darf man nicht zweifeln.
    Aber es könnte doch sein, dass sie einem die Unwahrheit sagen.
    Das muss dich nicht kümmern. Erzähl du ihnen die Wahrheit.
    Wie meinst du das?
    Man kann nicht für andere ehrlich sein, Kind, nur für sich selbst.
    Und was soll ich dann sagen?
    Wann?
    Wenn ich jemanden liebe?
    Sag es.

Ein Fremder im eigenen Leben,
    aber nicht hier, nicht zusammen mit ihr.
    Das Haus, das er ihr in ihrem Namen kaufte. Das Kind, das er als sein eigenes annahm; seine blinde Tochter, blauäugig wie er selbst, schwarzhaarig wie er selbst. Er liebte sie.
    Er nahm sich fest vor, für immer zurückzukommen. Er sagte zu Molly, dass das, was als Buße begonnen habe, inzwischen zu einer Verpflichtung geworden sei. Er könne Salts nicht verlassen, nicht jetzt, nein, noch nicht, aber bald, ja, sehr bald. Und Molly, die ihn angefleht hatte, sie mitzunehmen, akzeptierte, was er über sein dortiges Leben erzählte, und dass es kein Leben wäre für ihre Tochter und kein Ort für das zweite Kind, das Molly nun erwartete.
    Er sagte kein Wort zu ihr über seine Frau in Salts, kein Wort über seinen salzigen neuen Sohn, der fast unbemerkt zur Welt gekommen war.
    April. November. Zweimal im Jahr besuchte er Molly. Sechzig Tage im Jahr war er an dem Ort, wo Leben und Liebe waren, wo sein persönlicher Planet auf die Umlaufbahn seiner wärmenden Sonne stieß.
    Im April und im November kam er halb erfroren an, kaum imstande zu sprechen, weit entrückt vom Leben. Er trat vor ihre Tür und fiel ins Haus, und sie führte ihn ans Feuer und sprach zu ihm, stundenlang, wie es schien, damit er bei Bewusstsein blieb, nicht in Ohnmacht fiel.
    Jedes Mal fiel er bei ihrem Anblick fast in Ohnmacht, weil ihm auf einmal alles Blut in den Kopf schoss und er vergaß, Luft zu holen. Ihm war klar, dass es ein normales Symptom war, mit einer normalen Ursache, aber ihm war auch klar, dass sein ausgedörrter, halb verstummter Körper jedes Mal bei ihrem Anblick einen Satz machte, der Sonne entgegen. Wärme und Licht. Sie war ihm Wärme und Licht, ganz gleich, welcher Monat war.
    Im Dezember und im Mai, wenn er abreisen musste, trug er eine Zeit lang noch das Licht in sich, obwohl die Quelle verschwunden war. Beim Verlassen der langen, sonnengedehnten Tage fiel ihm kaum auf, dass die Zeit immer kürzer wurde, die Nacht immer früher hereinbrach, dass an manchem Morgen bereits Frost herrschte.
    Sie war eine helle Scheibe in ihm, die ihn mit Sonne umsponn. Sie war zyklisch, lichtgewendet, ein Kind der Tagundnachtgleiche. Sie war Jahreszeit und Bewegung, doch niemals hatte er sie kalt erlebt. Im Winter sank ihr Feuer von der Oberfläche unter die Oberfläche, und es wärmte ihre gewaltigen Hallen wie in der Sage vom König, der sich die Sonne in seinem Herd hielt.
    »Behalte mich bei dir«, sagte er. Es klang fast wie ein Gebet, doch wie die meisten von uns betete er für eine Sache, während er mit seinem Leben Kurs auf eine andere nahm.
     
    Sie waren im Garten und harkten Laub. Er stützte sich auf seine Harke und betrachtete sie, ihre winzige Tochter, die auf allen vieren die unterschiedlichen Blattränder ertastete. Er hob selbst ein Blatt vom Boden auf und befühlte es; es war eine Weißbuche, gezackt, geriffelt, anders als der Blattrand der Esche, anders als die flache, getupfte, handtellergroß gekräuselte Platane, anders als die Eiche mit ihren Eicheln und dem

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