Der Lichtritter: 1 (Oleipheas Schicksal) (German Edition)
knapp
an Thalons Beinen vorbei, gefolgt von einem kleinen rothaarigen Jungen, der
Thalon beinahe umgerannt hätte und dem Schwein eilig folgte. Vergeblich
versuchte er, es einzufangen. Etwas abseits, nahe einem heruntergekommenen
Häuschen standen einige Männer, die Gliedmaßen mit blutgetränkten Verbänden
verhüllt. Ihre zerrissene Kleidung hing an ihren schmächtigen Leibern wie ein
Sack hinunter. Die älteren von ihnen stützen sich auf einfache Stöcke. Sie
unterhielten sich lautstark, fluchten und brüllten. „Beachte diese Männer gar
nicht. Das sind die abgeschworenen Pilger, sie selbst bezeichnen sich als die
wahren Diener von Temperion, dem Katathei der Mäßigung. Sie teilen den absurden
Glauben, dass das harte Nomadenleben zur Läuterung führt. Sie ziehen durch die
Länder, meist tagelang, ohne eine Pause einzulegen und schinden so ihre Körper.
Ihr Ziel ist das weit entfernte Land der Ewigkeit, ein paradiesisches Land
fernab jeglicher menschlichen Zivilisation, von dem keiner weiß, ob es
überhaupt existiert und wo man es findet. Manche munkeln, dass es sich nicht
einmal mehr auf Oleiphea befindet“, erklärte Lewia. Thalon lauschte gerne der
harmonisch klingenden Stimme seiner Begleiterin, obwohl er sich des Öfteren wie
ein Kind fühlte, welches belehrt wird. Kaum hatten sie den Marktplatz erreicht,
wurde Thalon erst der wahre Trubel der Stadt bewusst. Aus allen Richtungen
strömten Menschenmassen über den Platz. Von der Kraft der Masse hin und her
gedrückt, schoben sie sich durch die Menge, die beinahe wie ein fester
Organismus wirkte. Selbst für Lewia war die belebte Großstadt ein
beeindruckender Anblick. Ungeachtet des hektischen Lebens auf den Straßen,
reckten sich in der Ferne die spitzen Türme der Kathedrale von Atusia
himmelwärts. Die Kathedrale stand im Adelsbezirk der Stadt, der, wie der Rest
von Atusia, von der einflussreichen Familie der Blauraben beherrscht wurde. Die
Blauraben waren Nachfahren der ersten Menschen, die die, vor langer Zeit von
den Gnomen erbaute, Stadt erobert hatten. Sogar die Stadtwachen unterstanden
den Mitgliedern der ordensgleichen Sippe. Thalons Blicke lösten sich
schließlich von den Wunderwerken der Architekturkunst, denn in einer Ecke
hatten sich mehrere Menschen versammelt und beobachteten gespannt den Tanz von
Narren, die sich fröhlich im Takt der Musik, die ein anderer Mann auf einer
Laute spielte, bewegten. Eine Frau mit üppiger Figur sang dabei ein bekanntes
Heldenlied. In einiger Entfernung standen sowohl edel gekleidete Adelige als
auch die ärmlich ausschauenden Bürger an den diversen Marktständen, an denen
Waren, von Fleisch bis feine Stoffe, angepriesen wurden. Lautstark wurde gehandelt
und getratscht, sodass sich die Stimmen der Leute mit den Geräuschen der
Umgebung zu einem riesigen Geräuschchoral vermischten. Schließlich drängten sie
sich weiter durch die vielen engen Gassen, die sich wie Hautfasern an den
verwinkelten Häuserbauten vorbeischlängelten, auf der Suche nach einer
Herberge. Währenddessen betrachtete Thalon die prachtvollen Domizile der
Kaufleute, die zwischen den einfachen Wohnungen gebaut waren. Ihr Baustil
unterschied sich deutlich von den anderen Häusern, da sie von Menschenhand
gefertigt waren und somit im Kontrast zu den verschnörkelten Häusern der Gnome
standen. In einer der schmutzigeren Gassen, weit hinter dem Händlerviertel,
sahen sie einen alten Bettler auf dem Boden knien, seinen alten und
durchlöcherten Hut vor sich liegend. Weil der Greis nur ein Bein besaß, befand
sich neben ihm noch eine hölzerne Gehstütze, ohne die er sich
höchstwahrscheinlich nicht fortbewegen konnte. „Sieh nur! Welch Leid muss der
Mann wohl erfahren haben? Wir sollten ihm helfen!“, meinte Lewia zu Thalon,
sichtlich berührt von dem scheinbar tragischen Schicksal des Mannes vor ihnen.
Sie zückte ein Geldstück aus ihrem Beutel und ließ es zu den anderen in den Hut
fallen. Dabei stieg ihr zwar der penetrante Gestank von Alkohol und nicht gewaschenen
Kleidern in die Nase, doch es machte ihr nichts aus. Lewia ging vor dem Mann in
die Knie, um ihm in die glasigen Augen, blicken zu können. Das von dem
aufgewirbelten Dreck der Straße schwarz gefärbte Gesicht, welches zuerst
skeptischen Blickes Lewia beobachtet hatte, entspannte sich und der Mann nickte
Lewia dankend zu. Er lächelte und entblößte dabei seine schiefen Zähne. Dann
schaute er Lewia erwartungsvoll an. Freundlich sprach sie den Mann an: „Ich
habe eine
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