Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
während der Junge schlief.«
»O Gott«, sagte Burden.
»Er ist ein Pelzfetischist. Soll ich Ihnen seine Aussage vorlesen?«
Burden nickte.
»Ich habe weder John Lawrence noch seine Mutter je gesehen. Ich habe ihn ihrer Obhut als seine rechtmäßige Hüterin nicht entrissen. Am 16. Oktober gegen sechs Uhr abends hörte ich meine Nachbarin, Mrs. Foster, ihrem Mann erzählen, daß John Lawrence vermißt werde und daß man Suchtrupps bilden wolle. Ich fuhr mit dem Fahrrad zur Fontaine Road und schloß mich einem dieser Suchtrupps an.
Bei drei aufeinanderfolgenden Gelegenheiten im Oktober und November habe ich drei Briefe an Chief Inspector Wexford geschrieben. Ich habe sie nicht unterschrieben. Ich habe ihn einmal angerufen. Ich kann nicht sagen, warum ich all das getan habe. Irgend etwas ist über mich gekommen, und ich mußte es tun. Ich bin glücklich verheiratet und habe selbst zwei Kinder. Ich würde niemals einem Kind etwas zuleide tun, und ich besitze kein Auto. Die Kaninchen habe ich erwähnt, weil ich Pelz liebe. Ich habe drei Pelzmäntel, aber davon weiß meine Frau nichts. Sie weiß überhaupt nicht, was ich getan habe. Wenn sie weggeht und die Kinder schlafen, ziehe ich oft einen meiner Pelzmäntel an, um das Fell zu spüren.
In der Zeitung habe ich gelesen, daß Mrs. Lawrence rothaarig und ihr Sohn John Lawrence blond ist. Ich habe meinem Sohn Raymond eine Haarsträhne abgeschnitten und sie an die Polizei geschickt. Ich kann nicht erklären, weshalb ich das oder überhaupt diese ganze Sache getan habe, außer, daß ich es tun mußte.«
Mit rauher Stimme meinte Burden: »Dafür kann er höchstens sechs Monate für Behinderung der Polizeiarbeit kriegen.«
“Tja, wessen würden Sie ihn anklagen? Psychoterror? Der Mann ist krank. Ich war gestern abend auch wütend, aber jetzt bin ich’s nicht mehr. Wenn man nicht gerade ein Unmensch oder ein Idiot ist, kann man nicht wütend sein auf einen Mann, der mit einer so grotesken Krankheit leben muß wie Bishop.«
Burden murmelte etwas wie, es sei ja alles gut und schön, solange man nicht persönlich betroffen sei, doch Wexford ging darüber hinweg. »Kommen Sie in ungefähr einer halben Stunde mit rüber ins Gericht?«
»Den ganzen Mist noch mal um und um drehen?«
»Ein Großteil unserer Arbeit besteht nun mal aus Mist, wie Sie’s nennen. Ausmisten, aufräumen, lernen, Mist von anderem Unrat zu unterscheiden, und lernen, damit umzugehen.« Wexford stand auf und stützte sich schwer auf seinen Schreibtisch. »Wenn Sie nicht mitkommen wollen, was machen Sie dann? Hier sitzen und Trübsal blasen, den ganzen Tag lang? Delegieren? Sich vor der Verantwortung drücken? Mike, ich muß das mal sagen, es ist Zeit, daß ich es endlich tue. Ich bin müde, ich versuche, diesen Fall ganz allein zu lösen, weil ich mich auf Sie nicht mehr verlassen kann. Ich kann nicht mit Ihnen reden. Wir haben die Dinge immer gemeinsam auseinanderklamüsert, den Mist gesiebt, wenn Sie so wollen. Aber wenn man jetzt mit Ihnen redet - also, das ist, als wolle man ein vernünftiges Gespräch mit einem Zombie führen.«
Burden sah zu ihm auf. Einen Augenblick dachte Wexford, er würde nicht antworten, sich nicht verteidigen. Er starrte ihn nur mit einem leeren, toten Blick an, so, als sei er viele Tage und viele schlaflose Nächte hindurch verhört worden und könne nicht länger die peinigenden, verwickelten Fäden auseinanderhalten, die zu seinem Unglücklichsein beitrugen. Doch er wußte, daß die Zeit längst vorbei war, wo er Wexford abwimmeln konnte, und in einer Folge abgehackter Sätze stieß er alles heraus.
»Grace geht weg, ich weiß nicht, was mit den Kindern werden soll. Mein Privatleben ist ein einziges Chaos. Ich kann meine Arbeit nicht machen.« Wie ein Aufschrei, den er gar nicht hatte hinauslassen wollen, brach es aus ihm hervor. »Warum mußte sie sterben?« Und dann, weil er nicht wußte, was er machen sollte, weil Tränen, die keiner sehen durfte, unter seinen Lidern brannten, begrub er das Gesicht in den Händen.
Es war sehr still im Zimmer. Bald muß ich den Kopf heben, dachte Burden, muß die Hände von den Augen nehmen und seiner Verachtung begegnen. Er machte keine Bewegung, preßte nur seine Finger noch fester gegen die Augen. Da fühlte er Wexfords schwere Hand auf seiner Schulter.
»Mike, mein guter alter Freund...«
Eine emotional geladene Szene zwischen zwei normalerweise wenig emotionalen Männern hat gewöhnlich einen Nachhall tiefer und
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