Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
Jahren. Wohnte Villiers damals schon hier?«
»Nein, er tauchte erst ein paar Jahre später auf. Ich begegnete ihm am ersten Tag des Herbsttrimesters, das ist jetzt also fast auf den Tag genau vierzehn Jahre her. Im Lehrkörper gab es zwei Neulinge, einen Naturwissenschaftler und eine Hilfskraft für die Altphilologie. Das war Denys. Der Direktor machte sie mit uns alten Hasen bekannt, und ich war natürlich absolut begeistert, Denys wiederzusehen.«
»Selbstverständlich«, warf Wexford ein.
Marriott sah ihn gekränkt an. »Sein Verhalten kam mir sehr merkwürdig vor, höchst eigenartig. Denys ist ein sonderbarer Kauz, ein waschechter Misanthrop. »Was für ein Glücksfall«,habe ich zu ihm gesagt, »daß du mich kennst. Ich kann dich einführen und mit allen bekannt machen, die hier wer sind.’ Man hätte doch erwarten sollen, er sei außer sich vor Freude, aber von wegen. Er sah mich nur angewidert an, doch ich hielt es für das beste, ein wenig Nachsicht mit ihm zu haben.«
»Weswegen?«
»Schließlich ist er Lyriker, wie du weißt, und Lyriker sind ein komisches Völkchen. Das ist nun mal so. Aber wie ich sehe, ist dir das neu. Du meine Güte, ja. Mehrere ganz reizende Gedichtchen von ihm waren damals im New Statesman erschienen, und ich hatte gerade seinen Essayband über Wordsworth, Coleridge und Southey gelesen. Übrigens ein kluges Buch. Wie ich also schon sagte, war ich nachsichtig mit ihm. »Sie bauen wohl auf Ihre Schwester, Ihnen hier ein Entree zu verschaffen«, habe ich zu ihm gesagt. »Vergessen Sie nicht, daß auch sie neu hier ist.«- »Meine Schwester? Hier?’ erwiderte er und wurde kreidebleich. »Wollen Sie damit etwa sagen, Sie wußten nichts davon?« - »Herrgott noch mal«, fluchte er. »Ich dachte, hier an diesem Ort würde sie sich zuallerletzt blicken lassen.«
»Aber du hast dafür gesorgt, daß sie sich begegneten?« fragte Wexford.
»Selbstverständlich, mein Bester. Ich hatte Denys und seine Frau noch am selben Abend hier zu Besuch.«
»Seine Frau? «rief Wexford erstaunt. »Aber er ist doch erst seit einem Jahr verheiratet.«
»Nun reg dich mal wieder ab, alter Junge. Seine erste Frau. Das war wohl dein voller Ernst, als du gesagt hast, daß du nichts über diese Leute weißt. Seine erste Frau, June, eine ungemein...«
»Hör mal, immer schön der Reihe nach«, stöhnte Wexford. »Warum war Villiers so aus dem Häuschen, als du ihm erzählt hast, daß seine Schwester hier sei?«
»Das habe ich nach damals auch gefragt, aber später waren wir noch oft alle zusammen, und es war offenkundig, daß sie sich nicht ausstehen konnten. Komisch, wenn man bedenkt, wie umgänglich Elizabeth mit anderen Leuten war. Offen gestanden, Reg, sie verhielt sich ihm gegenüber, als hätte er ihr etwas angetan, und was ihn betrifft... Es war unglaublich, wie unverschämt der Mann zu ihr war. Aber dem darfst nicht zuviel Bedeutung beimessen. Denys ist zu allen ekelhaft, mit Ausnahme von Quentin. Ihm gegenüber verhält er sich ganz anders, und Quen betet ihn förmlich an. Aber Elizabeth und Denys kamen noch nie gut miteinander aus. Schon als Kinder lagen sie sich ständig in den Haaren. Ich kann mich sogar noch entsinnen, daß Mrs. Villiers und meine arme Frau einmal darüber sprachen, wie unangenehm das sei, du weißt schon, und wie hilflos sich Mrs. Villiers dadurch vorkommen mußte. Aber falls du eine Antwort darauf möchtest, weshalb sie diesen Streit fortsetzten, kann ich dir nicht helfen. Elizabeth sprach nie über ihren Bruder, wenn es sich vermeiden ließ, und wenn sie sich mir nicht anvertraute, wem dann? Wir waren sehr eng befreundet, geradezu intim, könnte man sagen.«
»So?« sagte Wexford nachdenklich. »Könnte man das?« Er sah Marriott forschend an und hätte in dieser Richtung nachgehakt, wenn in diesem Moment nicht Hypatia eingetreten wäre, gebadet, von einem Parfümschleier umgeben und mit Goldlamehosen und einer schwarzgoldenen Jacke bekleidet.
Wexford begegnete sie mit zurückhaltendem, Marriott mit mütterlichem Lächeln. »Immer noch beim Schwatzen? Pam und Ian sind da, Leo. Ich habe gerade ihr Auto in die Gasse einbiegen sehen.« Zu Wexford gewandt, fragte sie spitz: »Müssen Sie schon gehen?«
Wexford stand auf und wehrte Marriotts Hand ab, die ihn zurückhalten wollte. “Gibst du morgen abend wieder eine Party, Lionel?«
»Also wirklich, Reg, ein solcher Genußmensch bin ich nun auch nicht. Morgen abend werde ich nach meinen Scharmützeln mit den Söhnen von
Weitere Kostenlose Bücher