Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
vorsichtig rückwärts, und gerade als er innerhalb des Schulhofs wendete, sah er sich Denys Villiers Auge in Auge gegenüber. Er nickte verbindlich und hob leicht die Hand. Villiers sah durch ihn hindurch, steckte die Hände in die Hosentaschen und steuerte den neuen Flügel an.
»Halt bitte an, Vati«, sagte Pat, kaum daß sie auf offener Straße waren. “Ich muß mich wieder übergeben.«
Nachdem er seine Kinder sicher abgeliefert hatte, quälte sich Burden durch das morgendliche Verkehrsgewühl zum Polizeirevier. Die Begegnung mit Villiers hatte ihn überrascht, denn seiner Meinung nach hätte der Lehrer zumindest diese Woche von der Arbeit fernbleiben müssen, wenn schon nicht vor Trauer, so doch aus Taktgefühl. Ein seltsamer Mann, dieser Villiers, ein Mann, dem es anscheinend völlig egal war, was die Leute dachten. Sein Verhalten Burden gegenüber, den er einfach ignoriert hatte, obwohl der Polizist am Tag zuvor in seinem Haus gewesen und zudem noch der Vater eines Schülers der King’s-Schule war, konnte Burden nur als empörend bezeichnen.
Da er zwanzig Minuten Verspätung hatte und dies auch wußte, stürzte er in den Aufzug und kam außer Atem in Wexfords Büro an. Der Chief Inspector saß in einem unsäglichen Anzug, der noch weit schäbiger als sonst wirkte, an seinem Schreibtisch aus Rosenholz und blätterte Aktenstapel durch. Hinter ihm am Fenster stand der Arzt, hauchte das Glas an und zeichnete mit dem Finger ein Gebilde, das beunruhigende Ähnlichkeit mit einem Verdauungstrakt aufwies. Burdens Bedarf an Verdauungstrakten war für diesen Morgen gedeckt.
»Ich bin spät dran, tut mir leid«, sagte er. »Meiner Tochter wird am ersten Schultag immer übel, deshalb habe ich gewartet und Pat zur Schule gefahren.« Er nickte dem Arzt zu. »Jean wollte dich schon kommen lassen.«
»Du wirst einen vielbeschäftigten Mann doch damit nicht belästigen?« fragte Crocker und grinste faul. »So etwas legt sich mit der Zeit, glaube mir. Das gehört alles zur Misere des Menschseins, die deinen Kindern nicht erspart bleiben wird, so hart das auch sein mag.«
Wexford sah auf und blickte sie finster an. »Verschone uns bitte mit Philosophie. Ich habe hier einige Laborberichte vor mir liegen, Mike. Die Asche des Unkrautfeuers beim Herrenhaus weist klar darauf hin, daß dort Wollstoff verbrannt wurde. Eine Waffe ist noch nicht aufgetaucht, obwohl unsere Leute den Wald gestern, bis es dunkel wurde, durchsucht haben und im Moment noch dabei sind.«
»Sie könnte überall sein«, sagte Burden ratlos. »Im Fluß, vielleicht liegt sie auch in irgendeinem Garten. Wir wissen nicht mal, wie sie aussieht.«
»Nein, aber darüber werden wir jetzt mal scharf nachdenken. Als erstes müssen wir uns darüber klarwerden, ob der Mord an Mrs. Nightingale geplant war oder ohne Vorsatz begangen wurde.«
Dr. Crocker wischte die Zeichnung mit der Handkante aus und ließ sich auf einem von Wexfords wackligen Stühlen nieder. Das einzige stabile Sitzmöbel war Wexfords Bürostuhl, ein Thron aus dunklem Holz und Leder, der breit genug war, um Wexfords Leibesfülle aufzunehmen. Er quietschte, als Wexford sich zurücklehnte und die Arme ausbreitete.
»Vorsätzlich«, erklärte der Arzt knapp. »Sonst wäre sie nicht auf diese Weise und an diesem Ort umgebracht worden. So ein Ding wie das, womit sie getötet wurde, nimmt man im allgemeinen nicht auf längere Spaziergänge mit. Stimmt’s?«
»Du meinst, falls kein Vorsatz dahinterstand, käme nur eine Todesursache wie beispielsweise Erwürgen in Betracht?«
»Ja, so ungefähr. Bei einem vorsätzlichen Mord muß man die Waffe nicht unbedingt mitbringen, wenn man weiß, daß ein entsprechender Gegenstand zur Verfügung steht. Mal angenommen, A beabsichtigt, B in Bs Salon zu töten, dann wird er keine Waffe mitnehmen, weil er weiß, daß der Schürhaken dort steht, wo er immer steht, beim Kamin. Aber im offenen Gelände gibt es kein entsprechendes Werkzeug, deshalb bewaffnet er sich, ehe er aufbricht. Euer Mann hat es genauso gemacht.«
»Muß es denn ein Mann sein?« fragte Wexford.
»Ein Mann oder eine kräftige Frau.«
»Der Meinung bin ich auch. Meines Erachtens war der Mord geplant, aber das schließt eine Eifersuchtstat nicht aus. Der Mörder ist ihr gefolgt und rechnete damit, das zu sehen, was er dann auch wirklich zu Gesicht bekam. Die Waffe hat er mitgebracht, eben weil er schon einen Verdacht hatte, den er nur noch bestätigt sehen wollte. Was meinen Sie,
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