Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
nach Rom mit euch fahren kann. Ich habe dem Direktor versprochen, mit auf die Klassenfahrt zu gehen.’
‘Du?’ rief ich. ‘Du mußt den Verstand verloren haben.’ In der Schule machen wir nämlich schon Witze darüber, was die Kollegen sich alles einfallen lassen, nur damit dieser Krug an ihnen vorübergeht. ‘Du willst allen Ernstes das schöne Rom gegen die lausige Costa Brava eintauschen?’ fragte ich. ‘Ich gehe’, sagte er. ‘Ist alles schon abgemacht.’ Quentins Gesicht hättest du sehen sollen. Er versuchte nach besten Kräften, Denys zu überzeugen, aber er wollte nicht hören. Er blieb eisern.«
»Und wie war es in diesem Jahr, Lionel?«
»Inzwischen war er ja verheiratet. Georgina hat er an der Costa Brava kennengelernt, aber darauf komme ich später. Nein, dieses Jahr gingen sie allein auf die Bermudas, und ich glaube, insgeheim waren sie heilfroh, den alten Miesepeter vom Hals zu haben. Elizabeth hat das anklingen lassen, als ich bei ihr war, weil sie einen Zeugen für ihr Testament brauchte, und...«
»Ihr was?« fragte Wexford bedächtig. »Hast du gesagt, ihr Testament ?«
10
»Weshalb ich Ihnen verschwiegen habe, daß meine Frau ein Testament gemacht hat? Offen gestanden, Chief Inspector, weil ich es völlig vergessen hatte.« Quentin Nightingale hatte anfangs einen bestürzten Eindruck gemacht, doch nun lächelte er ein wenig spöttisch, als mache man aus einer Mücke einen Elefanten. Er hatte seinen Gang nach Canossa hinter sich und mit leichten Blessuren überstanden. Weshalb ihn nun mit Bagatellen belästigen? »Ich glaube wirklich nicht, daß es rechtsgültig ist. Wissen Sie, das war nur so eine Schnapsidee, die sich meine Frau in den Kopf gesetzt hatte.«
»Nein, das weiß ich nicht«, sagte Wexford, lehnte die Aufforderung ab, in einem Ledersessel Platz zu nehmen, und blieb statt dessen vor dem Bücherschrank stehen. »Ich denke mir, Leute in Ihrer Position lassen ihre Testamente von Notaren aufsetzen. Wer ist Ihr Notar, Mr. Nightingale?«
»Aber es wurde kein Notar hinzugezogen. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß es nur eine Schnapsidee war. Mir ist ein Rätsel, wie Sie überhaupt davon erfahren haben.« Er hielt erwartungsvoll inne, doch als er merkte, daß Wexford nicht die Absicht hatte, ihn darüber aufzuklären, fuhr er in verärgertem Ton fort: »Am besten, ich erzähle es Ihnen.«
»Das wäre schön«, sagte Wexford und lehnte sich mit dem Kopf gegen den harten glatten Einband von Motleys Rise of the Dutch Republic.
»Es war im Sommer letzten Jahres. Meine Frau und ich hatten uns die Bermudas als Urlaubsziel ausgesucht, und selbstverständlich hatten wir vor zu fliegen. Obwohl meine Frau schon früher geflogen war - als sie vor sieben Jahren nach Amerika ging-, flog sie nicht gern, und normalerweise fuhren wir per Schiff und Auto in Urlaub.«
»Sie hatte Angst vorm Fliegen?«
»Na, hören Sie, ‘Angst’ ist doch wohl ein zu großes Wort dafür.«
»Wenn sie ihr Testament gemacht hat«, erwiderte Wexford, »so doch wohl deshalb, weil sie dachte, sie könnte sterben. ‘Angst’ ist keineswegs ein zu großes Wort für Todesahnungen.«
»Sie sehen das viel zu dramatisch«, sagte Quentin wütend. »Ich war ein bißchen bange, doch das hielt sie nicht davon ab, Witze darüber zu machen. Das Testament war auch so ein Witz. Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, daß ich es nie ernst genommen habe.«
Er verstummte und lauschte einen Moment. Als er die Ohren spitzte, konnte auch Wexford ganz leise weit über ihnen die Musik aus Nellekes Radio hören. Ihre Blicke trafen sich, und Quentin errötete. Rasch fuhr er in ärgerlichem Ton fort. »Eines Tages sagte sie, daß sie ein Testament machen wolle, und ich sah, wie sie etwas auf ein Blatt kritzelte. Ich glaube fast, ich habe es mir nicht einmal angesehen. Ich hielt es für eine dieser romantischen Ideen, wie sie sehr feminine Frauen manchmal überkommen.« Unvermittelt schweifte er ab. »Ich entsinne mich noch, wie sich meine Mutter kurz vor der Geburt meiner jüngsten Schwester fotografieren ließ, damit mein Vater eine letzte Erinnerung an sie hätte, falls die bei der Entbindung sterben sollte, und Abschiedsbriefe an alle ihre anderen Kinder schrieb. Aber sie starb natürlich genausowenig wie Elizabeth...«
»Ihre Frau ist aber gestorben, Mr. Nightingale«, sagte Wexford leise.
Quentin senkte den Blick und rang mit den Händen.
»Ja... Die Sache mit dem Testament, ich hielt es für eine Schnapsidee, wie ich schon
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