Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
zu liegen, die Stille des Unglaublichen, die Stille des Schocks. Burden klopfte an die Tür zum Damenzimmer und trat ein.
Das kleine, geschmackvoll eingerichtete Zimmer war mit einer in Creme- und Blautönen gehaltenen Täfelung ausgestattet. Auf einem breiten Sims, der parallel mit der Bilderleiste lief, standen blaue Delfter Teller mit Blumenmotiven. Zwischen Sims und Bilderleiste hingen Aquarelle, zarte Gemälde mit ländlichen Sujets - die Myfleeter Mühle, die Kirche von Forby, die Flußbrücke bei Flagford.
Eingezwängt in ein mit cremefarbenem Satin bezogenes Sesselchen, wirkte Wexford noch hünenhafter als sonst. Sein grobschlächtiges Gesicht zeigte eine würdevoll ernste Miene, doch seine Augen waren hellwach und aufmerksam auf die Frau gerichtet, die gegenüber dem Kamin saß. Mit einem Blick auf das gepflegte weiße Haar, das rötliche, von Tränen zerfurchte freundliche Gesicht und die saubere blaue Nylonschürze ordnete sie Burden als ergebene Dienerin ein, ein altes und treues Faktotum.
»Nur herein«, sagte Wexford. »Setzen Sie sich. Das ist Mrs. Cantrip. Sie hat Mr. und Mrs. Nightingale den Haushalt geführt, seit sie vor sechzehn Jahren geheiratet haben.«
»Stimmt, Sir«, bestätigte Mrs. Cantrip und fuhr sich mit einem Taschentuch über die zugeschwollenen Augen. »Und einen liebenswerteren Menschen als Mrs. Nightingale werden Sie hier auf Erden nicht finden. Sie hatte ein Herz aus Gold, für jemand Gütigeren habe ich noch nie gearbeitet. Wenn das auch nicht sehr respektvoll klingen mag, habe ich doch oft bei mir gedacht, wie schade es ist, daß ich und nicht sie irgendwann einmal vielleicht eine Empfehlung braucht. Ich hätte sie in den höchsten Tönen gelobt, das können Sie mir glauben.«
Burden ließ sich behutsam auf einem der anderen satinbespannten Sessel nieder. Sämtliche Möbel waren blitzblank und von erlesenem Geschmack, angefangen bei dem schimmernden Porzellan bis hin zu dem Kaminschirm der gnädigen Frau, bemalte ovale Scheiben auf langen Stützen.
»Ich weiß gar nicht, was Sie von uns halten müssen, Sir«, sagte Mrs. Cantrip, die seine Miene falsch auslegte. “Wo’s hier noch so unordentlich aussieht, weil heute morgen noch nicht saubergemacht wurde. Aber ich und Nelke haben uns nicht in der Lage gefühlt, auch nur den Staubwedel in die Hand zu nehmen. Es war ein solcher Schlag für mich, als man es mir sagte, da kann ich mich nur wundern, daß ich nicht gleich in Ohnmacht fiel.« Sie wandte sich an Wexford und kämpfte mit den Tränen. »Wie Sie gesagt haben, Sir, möchten Sie mit jedem im Haus sprechen, da will ich Sie nicht länger aufhalten, jetzt, wo der andere Herr gekommen ist.« Sie zählte die anderen an ihren abgearbeiteten Fingern ab. »Zunächst wäre da der alte Will Palmer, er hat auch die arme Tote gefunden, dann Sean Lovell und Nelke...«
»Wer ist Nelke?«
»Die junge Ausländerin, Sir. Sie arbeitet hier als Au-pair-Mädchen. Nelke finden Sie in ihrem Zimmer im obersten Stock. Und dann ist da natürlich auch noch der arme Mr. Nightingale, der sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen hat und niemandem aufmacht.«
»Zuerst möchte ich mit Mr. Palmer sprechen«, sagte Wexford.
»Wie lange sind Sie schon hier?« fragte Burden. Wegen der Grabesstille in dem Haus flüsterte er.
»Seit halb acht«, antwortete Wexford ebenso leise, während sie Mrs. Cantrip einen langen Flur entlang und durch die Küche in den Garten folgten. »Vielen Dank, Mrs. Cantrip. Ich glaube, Mr. Palmer kommt uns schon entgegen.«
Polizisten in Uniform und in Zivil durchsuchten die Gartenanlagen. Will Palmer trat hinter einer Wacholderhecke hervor, blieb in der Mitte des Rasens stehen und beobachtete mit griesgrämiger Miene, wie Constable Gates in den Blumentöpfen eines der Gewächshäuser herumstocherte und Constable Bryant mit aufgewickelten Hemdsärmeln beide Arme in die grünen Tiefen des Wasserlinsenteichs steckte.
»Die Leiche wurde fotografiert und weggebracht«, sagte Wexford. »Jemand hat Mrs. Nightingale einen Schlag auf den Kopf versetzt. Weiß der Himmel, mit was. Nach der Waffe wird noch gesucht. Es war alles voller Blut.« Er sprach lauter. »Mr. Palmer! Könnten Sie bitte einmal zu uns herüberkommen?«
Palmer war ein großer, hagerer alter Mann mit einem ernsten, ausgemergelten Gesicht, das durch Wind und Wetter die Farbe von Rosenholz angenommen hatte. Dunkelrot leuchtete auch die Halbglatze auf seinem Kopf hervor.
»Ich habe mir schon gedacht, daß Sie
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