Der Liebe eine Stimme geben
Fuß in Schwarz gekleidet, wo sie nicht nur immer noch für Anthony betet, sondern jetzt auch für Olivias geschiedene Seele. Vermutlich betet sie auch ein paar Rosenkränze, um ihren eigenen Namen reinzuwaschen, um sicher zu sein, dass Gott weiß, dass sie in keiner Weise verantwortlich für Olivias beschämenden und sündhaften Akt gegen die Kirche ist. Olivia hat nicht die Kraft, nach Hause zu fahren, um von ihrer Religion und ihrer Mutter verurteilt zu werden.
Maria sagt, dass Olivia sich nicht ewig verkriechen kann. Das ist zweifellos der Grund, weshalb Olivia im März hierhergekommen ist, aber ohne dass es ihre Absicht war, und während der Rest der Insel sich anschickt, in den Winterschlaf zu gehen, verspürt sie die Möglichkeit, aus sich herauszukommen, ein neues Leben zu beginnen. Vielleicht ist Nantucket nicht nur ein vorübergehendes Asyl für sie, ein Rückzugsort vor ihrer Trauer und dem Leben, das sie nicht leben durfte. Vielleicht ist es ihr Zuhause.
Ihr abgeschiedener Wohnort ist außerdem die perfekte Ausrede, ihre Zuflucht vor einer gefürchteten Flugreise, unangemessener Eifersucht und ewiger Verdammnis. Nein, sie wird über Thanksgiving nicht nach Georgia fahren. Sie wird zu Hause auf Nantucket bleiben, froh, hier zu sein.
Sie erreicht ihren Briefkasten, öffnet das Türchen und nimmt einen kleinen Stapel Post heraus. Als sie sich umdreht, sieht sie eine Frau und ihren schwarzen Hund am Straßenrand entlanggehen. Olivia hält mit ihrer Post in der Hand inne, sieht, dass die Frau und ihr Hund genau auf sie zukommen. Es ist Beth Ellis.
»Hey!«, sagt Beth lächelnd. » Leben Sie hier?«
»Ja, ich wohne in der Morton.«
»Sie machen Witze. Ich wohne in der Somerset. Dann sind wir ja Nachbarn. Wieso haben wir das nicht gewusst?«
Olivia zuckt die Schultern. Beths Hund schnuppert ein paar Sekunden an Olivias Schuhen und Jeans, bevor er seine lebhafte Aufmerksamkeit der Stelle zwischen ihren Beinen zuwendet. Beth zieht an seiner Leine.
»Grover, nein! … Wie lange leben Sie schon hier?«
»Seit März.«
»Wirklich? Ein harter Monat, um hierherzuziehen.«
»Oh ja.«
»Sind Sie verheiratet?«, fragt Beth, die an Olivias behandschuhten Fingern keine Antwort sehen kann.
»Geschieden.«
Olivia beobachtet, wie Beth diese Information verdaut, während sie ihren eigenen Briefkasten öffnet und ihm einen dicken Stapel Kataloge und Briefumschläge entnimmt.
»Haben Sie Kinder?«, fragt Beth.
»Einen Sohn.«
»Oh, wie alt?«
»Zehn.« Er wäre zehn .
»So alt wie meine Gracie! Geht er bei Mrs. Gillis in die vierte Klasse?«
»Nein, er lebt nicht hier.«
»Oh.«
Damit ist das Verhör beendet, aber Olivia kann spüren, wie Beth noch mehr Fragen durch den Kopf wirbeln. Was kann das bedeuten? Lebt er bei seinem Vater? Was für eine Mutter lebt nicht mit ihrem Kind zusammen? Wo ist er? Bevor sie auch nur eine davon äußern kann, wechselt Olivia das Thema, in der Hoffnung, dass Beth ihr folgen wird.
»Komisch, ich wollte Ihnen eben eine E-Mail schicken. Ihre Bilder sind fertig. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«
»Oh, gut! Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Ich kann es kaum noch erwarten, sie zu sehen. Ich will eines davon für unsere Weihnachtskarte verwenden.«
»Ich schicke Ihnen den Link, sobald ich nach Hause komme. Sie sind toll geworden. Sie werden begeistert sein.«
Die beiden Frauen gehen los.
»Ich glaube, mein Buch ist fast fertig«, sagt Beth nach einem verlegenen Schweigen.
»Das ist ja toll. Glückwunsch.«
»Aber ich bin mir nicht sicher. Die Frage ist vielleicht dumm, aber woher weiß man, dass es fertig ist?«
Das Ende ist immer schwierig. Alles in einem straffen, eleganten Bogen zum Abschluss bringen. Den Leser mit einem befriedigenden Ende zurücklassen. Sich verabschieden.
»Es muss alle entscheidenden Elemente haben, einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende. Man spürt es einfach. Es ist intuitiv, glaube ich. Wenn man fertig ist, weiß man es.«
»Ich weiß nicht, was ich denken soll. Inzwischen habe ich es so oft gelesen, dass meine Augen über die Worte fliegen. Ich kann es gar nicht mehr sehen.«
»Vielleicht sollten Sie ein bisschen Abstand nehmen und es dann mit frischen Augen noch einmal lesen.«
Beth nickt, während sie gehen.
»Ich hätte trotzdem gern Ihr Feedback, wenn Sie noch immer bereit dazu sind.«
»Wenn Sie so weit sind, werde ich es sehr gern lesen.«
»Vielen Dank«, lächelt Beth. »Ich werde es in Ihren Briefkasten stecken,
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