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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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reibt sie aneinander. Der Wind heult, klingt entschlossen, als würde der große böse Wolf durch die Nachbarschaft streifen, darauf aus, alle Häuser umzupusten. Einer der Fensterläden klappert, und Beth spürt eine Brise über ihr Gesicht streichen, einen Luftzug, der ungebeten durch die vielen Risse um die alten, verzogenen Fenster ins Wohnzimmer weht. Sie legt die Hände um ihren Becher Kakao, nimmt seine tröstliche Wärme in sich auf.
    Ihr geht der Gedanke durch den Kopf, dass genau so alles angefangen hat. Ein Wintersturm, ein Becher Kakao, ein Feuer im Kamin, Grover schlafend auf dem Teppich. Alles fühlt sich vertraut an, als hätte sie genau das hier schon einmal erlebt, und doch hat sie das Gefühl, auf Zehenspitzen am Rande eines Abgrunds zu stehen, vorgebeugt, im Begriff, im freien Fall ins Unbekannte zu stürzen.
    »Gut siehst du aus«, sagt Jimmy.
    Sie gestattet sich ein schüchternes Lächeln und bürstet eine weiße Hautschuppe von ihrer roten Bluse. »Danke. Du auch.«
    Der Bart ist ab, aber die Koteletten hat er lang gelassen, was ihr gefällt, und sein Gesicht sieht glatt und jung aus. Er riecht gut, nach Zitrus, einem Aftershave oder Eau de Cologne, das sie nicht kennt. Er hält ein Blatt Papier aus einem Notizblock in der Hand, zusammengefaltet auf die Größe einer Spielkarte.
    »Ich bin froh, dass wir das endlich machen«, sagt er lächelnd. Er strahlt vor Aufregung und Vorfreude, wie ein Kind, das im Begriff ist, ein Weihnachtsgeschenk auszupacken, in der Gewissheit, dass es genau das sein wird, was es sich gewünscht hat.
    Beths Blatt, einmal zusammengefaltet, liegt neben ihr auf dem Sofakissen.
    »Wie willst du es machen?«, fragt Jimmy.
    »Ich weiß nicht.«
    »Willst du anfangen?«
    »Wie wär’s, wenn wir die Blätter einfach tauschen und lesen?«
    »Okay.«
    Beth reicht ihm ihre Hausaufgabe, und er reicht ihr sein zerknittertes Blatt Papier. Ölig und zerfleddert an den Rändern, hat es vermutlich seit zwei Monaten in seiner Hosentasche gesteckt. Sie faltet es auseinander und liest.
    GEWOLLT
    Warte abends ab und zu auf mich und schlaf lange mit mir aus
    Komm an manchen Abenden zum Essen in die Bar
    Tu beim Sex den ersten Schritt
    GLÜCKLICH
    Freu dich, mich zu sehen
    Hör auf, ständig sauer auf mich zu sein
    Rede nicht mit mir, als ob ich eines der Kinder wäre
    SICHER
    Sei stolz auf mich
    GELIEBT
    Sag mir, dass du mich liebst
    Seine Liste ist kurz und bündig, einleuchtend und schlicht. Sie ist fast zu schlicht, und doch glaubt sie ihm. Seine Liste ist aufrichtig, und sie schämt sich unerwarteterweise. Das ist alles, was er von ihr braucht, und sie war nicht bereit, es ihm zu geben, selbst bevor er anfing, sie zu betrügen.
    Ihre Liste ist ähnlich unkompliziert. Sie bittet nicht um Diamanten und Luxusurlaube. Sie braucht keine Rosen und Pralinen auf ihrem Kopfkissen. Er muss ihr nicht die Sterne vom Himmel holen. Ganz einfach soll es sein. Liebe, Glück, Sicherheit, sich gewollt fühlen, die grundlegendsten Elemente, wie Luft, Wasser, Erde und Feuer – sie fehlen ihnen beiden. Kein Wunder, dass sie beide hier sitzen, mit ihren erbärmlichen Zetteln im Schoß, Mann und Frau, Fremde.
    Wann und warum haben sie angefangen, diese Grundbedürfnisse zu unterdrücken? War es bei ihr eine Reaktion auf die Veränderungen an ihm, nachdem er mit dem Muschelfischen aufgehört hatte, bevor er anfing, im Salt zu arbeiten? War es eine unbewusste Reaktion auf seine Affäre? Hat sie, ohne es zu wissen, seine Untreue gespürt und sich zurückgezogen? Oder hat sie vielleicht schon vor Jahren zu viel von ihrem kreativen und leidenschaftlichen Selbst beiseitegeschoben, in einer Kiste auf dem Dachboden verstaut, sodass ihr nicht mehr genügend Liebe und Glück blieb, die sie mit Jimmy teilen konnte? Hat sie ihm das zuerst vorenthalten, und er hat auf gleiche Weise reagiert? Es ist wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei, vermutlich nicht zu beantworten.
    Sie liest sich seine Liste noch einmal durch, voller Angst, zu ihm hochzuschauen. Auf dem Papier sieht alles so machbar aus – natürlich abgesehen davon, dass sie zum Abendessen in die Bar kommen soll. Nicht, wenn Angela da ist. Ausgeschlossen. Aber es bestätigt auch, was sie schon zu lange vermutet. Sie sieht auf sein Blatt Papier, und sie sieht Worte, die sie laut hätten aussprechen sollen, im Plauderton auf dieser Couch, im Flüsterton im Bett, Bedürfnisse, die sie sich mit einem Blick, einer Notiz, einem Klopfen auf die Schulter hätten

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